Das tun! (Mi 6 2-8)

Unser Gottesdienst am 22. Sonntag nach Trinitatis zum Nachhören ist für vier Wochen hier zu finden.

Vorwürfe gegen andere
tägliche Übung
schon frühmorgens im Berufsverkehr
aber auch später
Gründe zu Ärger Zorn Verzweiflung
gibt es viele auf dieser Welt
gute Gründe Tag um Tag

DOCH
helfen sie
haben wir sie nötig
Ärger
Zorn
Selbstbeschädigung

Es ist uns alles geschenkt
alle Schuld erlassen
alle Liebe sicher

Bei dir, Herr, IST die Vergebung, dass man dich fürchte.
Wsp Ps 130,4
***

Was tun?

Das soll ja lebenslang die häufigst gestellte Frage sein.
Zuerst leider deshalb, weil man irgendwann irgendwo steht und sich plötzlich nicht mehr daran erinnern kann, WARUM man irgendwann irgendwo steht. Dann steht man oft ratlos da und frag sich selbst laut oder meist still für sich: Was wollte ich jetzt eigentlich tun?

Was tun?

Natürlich ist das auch außerhalb von persönlicher Schusseligkeit eine Frage des Lebens, eine tägliche Frage von geringer bis großer Relevanz.
Gering, weil es um Tägliches und Alltägliches geht,
groß, weil es beispielsweise um Grundsatzentscheidungen oder gar um das Lebensglück geht.

Was tun?

Selbst bei geringer Relevanz kommt man um diese Frage nicht herum. Manchmal reicht es freilich, wenn man für sich akzeptiert, dass man sich für einen bestimmten Vorgang diese Frage erst dann wieder stellen will, wenn es wirklich nötig ist.

Dass z.B. der Pullover richtig herum angezogen wird, wenn das Etikett hinten ist. Dass das Messer zum Schneiden und nicht zum Ablecken oder gar Löffeln da ist. Dass man die rechte Hand reicht, will man sich begrüßen oder verabschieden.

Die Antworten auf DIESE Fragen kann ich in mir abspeichern, bis ich zu einer Neubewertung gezwungen werde. Zum Beispiel dann, wenn da im Pullover gar kein Etikett ist. Oder man in der rechten Hand etwas hat, was man im Augenblick nicht einfach weglegen kann. DANN muss ich die Frage „Was tun?“ neu stellen und mir beantworten.

Auch in anderen Bereichen kann ich versuchen, diese Frage möglichst selten zu stellen: Wann stehe ich morgens auf? Was stelle ich auf den Frühstückstisch? Auf welchem Arbeitsplatz muss ich erscheinen? Wann sollte ich abends ins Bett gehen?
In solchen oder ähnlichen Bereichen stellt man sich diese Frage gern möglichst selten, denn das erleichtert das Leben erheblich.

Doch wenn es um schwerwiegende Entscheidungen geht, kommt man überhaupt nicht um diese Frage herum. Welchen Beruf soll ich erlernen, welches Fach studieren? Sollte ich kündigen? Aussteigen? Einsteigen? Was tun, um glücklich zu werden oder zu bleiben?

Dann muss man sie sich stellen, diese Frage: Was tun? – und sie sich auch irgendwie beantworten. Die wohl schwierigste Frage dabei ist wohl, was tun, um glücklich werden zu können?

Es gibt wohl nur wenige Menschen, denen die Antwort auf diese Frage leicht über die Lippen kommt. Denn die meisten erleben diese Welt zwar grundsätzlich als schön, aber doch sehr defizitär. Denn das Leid, dass diese Welt und das Leben auf ihr bedeuten, wiegt für sie schwer. Es legt sich wie Blei auf die Seele. Und selbst wenn es einem selbst gut zu gehen scheint, sind Hunger und Krieg, Terror und Unterdrückung und alle anderen im wahrsten Sinne des Wortes zum Himmel schreiende Ungerechtigkeiten nichts, was einfach nur schulterzuckend hinzunehmen wäre.

Also was tun? Hat der Mensch Möglichkeiten, trotzdem glücklich zu werden, mit sich und dieser Welt, dem Leben auf ihr ins Reine zu kommen, zu ihrer Gerechtigkeit beizutragen, und wenn ja: Welche sind das?

Was tun? ist denn auch der Titel eines der Hauptwerke Lenins, das er bereits im Jahr 1902 veröffentlichte. Er entwickelte darin die Theorie, dass zur Gerechtigkeit der Welt eine „Avantgarde des Proletariats“ geschaffen werden müsse.

„Avantgarde“ ist ein Begriff aus der französischen Militärsprache und bezeichnet die Vorhut, also denjenigen Truppenteil, der als Erster vorrückt und somit zuerst Feindberührung hat. Unter Avantgardisten im übertragenen Sinne versteht man also Menschen, die neue, wegweisende Entwicklungen anstoßen.

Lenin hatte vor, Menschen in kommunistisch geführten Schulen auf diese Aufgabe vorzubereiten, damit sie den Klassen-Kampf gegen Feudalismus und Kapitalismus ideologisch führen und unterstützen konnten. Diesen Kampf fand er unausweichlich, auch, dass er mit unerbittlicher Härte geführt werden musste. In Feudalismus und Kapitalismus sah er den wahren Feind, das Haupthindernis zum Glück des Menschen.

Heute kennen wir die Folgen dieser Position Lenins. Die „Avantgarde des Proletariats“ schuf die Kaderschmieden der Parteischulen, die mit der Oktoberrevolution bis zum Ende der 1980er Jahre das Leben von Millionen Menschen im so genannten Ostblock bestimmten. Und heute kann man auch ganz ohne ideologische Brille erkennen, dass Glück erkauft werden sollte durch neues Leid, neues Elend, neue Gewalt.

So kann man diesen Weg zumindest als fragwürdig bezeichnen, und Lenins Antwort auf die Frage „Was tun?“ bleibt nur für wenige Menschen eine, die ihnen im Leben zu ihrem Glück verholfen hat oder heute verhelfen würde.

In unserem Bibeltext für heute geht es ebenfalls um die Frage: „Was tun?“ Der Prophet Micha entwickelt sie in einer Szene der Auseinandersetzung zwischen Gott und seinem Volk. Ich lese aus Micha 6 die Verse 2-8 in eigener Übersetzung:

2 Hört, ihr Berge, den Rechtsstreit JHWHs,
hört, ihr beständigen Grundfesten der Erde!
Denn JHWH hat einen Streit mit seinem Volk,
und mit Israel diskutiert er:
3 Mein Volk, was habe ich dir angetan,
und womit habe ich dich ermüdet?
Sage es mir!
4 Ich habe dich doch aus dem Land Ägypten heraufgeführt
und aus dem Haus der Knechtschaft erlöst!
Und ich habe Mose, Aaron und Mirjam vor dir her geschickt.
5 Mein Volk, erinnere dich doch,
was Balak, der König von Moab, geplant hat,
und was ihm Bileam, der Sohn von Beor geantwortet hat,
von Schittim bis Gilgal,
um die gerechten Taten JHWHs zu erkennen!

6 Womit soll ich vor JHWH treten,
mich vor dem Gott der Höhe beugen?
Soll ich mit Brandopfern vor ihn treten, mit einjährigen Kälbern?
7 Gefallen JHWH Tausende von Widdern,
unzählige Ströme von Öl?
Soll ich meinen Erstgeborenen für meine Verfehlung geben,
die Frucht meines Leibes als Reinigungsopfer für mein Leben?

8 Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist,
und was JHWH von dir fordert:
nichts anderes als Recht zu tun,
Güte zu lieben
und besonnen mit deinem Gott zu gehen.

1. Szene: Was tun? Fragt Gott.

Diese Diskussion, dieser Streit findet mit den Bergen als Zeugen statt. Die Berge verbinden in der alten Weltsicht den Grund der Erde mit dem Himmel. Sie sind die „Säulen der Welt“, auf denen alles ruht, an denen sich alles sammelt: Alles Leben auf der Erde und in den Wassern. Die Berge sind die „beständigen Grundfesten der Erde“, Garanten für die Unveränderlichkeit der Welt über viele Generationen von Menschen hinaus.

Diese „Säulen der Erde“ werden Zeugen eines trauernden Gottes. „Mein Volk, was habe ich dir angetan, womit habe ich dich ermüdet?“ Aus diesen Worten spricht kein Zorn, sondern die abgrundtief enttäuschte Stimme einer Liebenden, die sieht, wie ihre Liebe nicht mehr erwidert wird.

Diese Stimme ruft zugleich die immer währende, zuverlässige Begleitung des Gottesvolkes in Erinnerung.
Die Befreiung aus der Sklaverei Ägyptens.
Die Führung durch Menschen, die Gott nahe waren und das Volk ihm nahe sein ließen.
Die schützende Begleitung durch 40 Jahre Wüste.
Das Geschenk einer Heimat, eines Landes, in dem Milch und Honig fließen.

Ägypten, Balak, Bileam, Gilgal: Alle im Volk Israel kennen diese Namen aus ihrer Geschichte mit ihrem einzigartigen Gott JHWH. Und alle, die das hören, spüren plötzlich: Diese Welt ist nicht in Ordnung. Gott leidet. Er fühlt sich unverstanden, verlassen. Was HAT er nicht schon alles getan, getan FÜR SEIN VOLK. Was soll ich denn NOCH tun? Fragt Gott. Sag es mir?

2. Szene: Was tun? Fragt das Volk.

Es weiß um die sozialen Verwerfungen seiner Gesellschaft. Es weiß um das Leid und die Armut der einen und um den Reichtum und die Bestechlichkeit anderer. Es spürt, dass so getan wird, als würde man nach Gott fragen, dass man aber eigenlich gar kein Interesse daran hat zu hören, was Gott zu sagen hätte.

Das Volk spürt: Sein Verhältnis zu GOTT kommt unter die Räder. Gottes LIEBE zu seinem Volk kommt unter die Räder. Und Gott leidet daran. Das Volk befindet sich auf Abwegen, auf Wegen, die es von der Liebe seines Gottes entfernen, mehr und mehr. Größer und immer größer wird der Abstand, der Sund, die Sünde.

Was soll ich denn jetzt tun? Fragt das Volk.
Wie kann ich das Verhältnis zu Gott je wieder in Ordnung bringen? Helfen Luxus – Brandopfer mit einjährigen Kälbern? Tausende Widder? Ströme von Öl?
Hilft es, ALLES was man hat zu geben, selbst den Erstgeborenen, den Erben, den weltlichen Garanten für das Fortbestehen auf dieser Erde: Würde all das Opfern helfen können, die Liebe Gottes neu entflammen lassen, diese Welt besser machen, die Menschen glücklich werden und sein zu lassen?

3. Szene: Das tun! Sagt der Prophet.

Du kennst die Geschichte Gottes mit dir. Du weißt, dass er dich noch nie im Stich gelassen hat, seine Liebe zu dir immer gezeigt hat und täglich zeigt. So hast du seine Stimme kennengelernt, so weißt du aus den vielen gesprochenen Wörtern sein Wort herauszuhören. So weißt du auch, was er von dir erwarten kann.

Und er erwartet KEINE Opfer. Denn jedes Tier, das geschlachtet, alles Öl aus Oliven oder Raps, das verplempert, jeder sinnlose Tod bedeutet, dass ein Teil Gottes geopfert würde: Und das nur, weil der Mensch meint, „Reinigungsopfer“ darbringen zu können, um sein schlechtes Gewissen zu beruhigen. Das aber KANN nichts besser machen, KANN den Sund, den Abstand zu Gott nicht verkleinern.

Also: Was tun? Das tun: Lieben, wie Gott liebt.

Konkret:
Recht zu tun. Sich so zu verhalten, wie es dem Verhalten Gottes entspricht. Das den sozialen Ausgleich und ein gerechtes Gemeinwesen für möglichst alle Menschen ermöglicht.
Güte zu lieben. Gnade und Solidarität sind gefordert, die Erkenntnis, dass Gottes-, Nächsten- und Selbstliebe zusammengehören, untrennbar miteinander verwoben sind.

Schließlich: Besonnen mit deinem Gott zu gehen. Luther übersetzt: Demütig sein vor deinem Gott. Beides meint Dasselbe. Es ist die Steigerung von „Recht tun“ und „Güte zu lieben“.
Es meint, tagtäglich HINZUSEHEN und neu zu justieren, neu zu entscheiden, wann immer es nötig ist. Besonnen mit Gott zu gehen, der seit dem Exodus mit dem Volk unterwegs ist.

Zu erkennen, WEM auf dieser Welt wirklich zu dienen ist, WEM Demut gelten muss: Nicht dem Menschen. Wohl aber dem, der Himmel und Erde gemacht hat und alles, was lebt.

Meine Schwestern, meine Brüder:

Für mich gehört insbesondere dieser Schlussvers unseres Textes zu den Bibelversen, die mein Leben begleiten. Nicht nur deshalb, weil er der Wochenspruch des 20. Sonntags nach Trinitatis, also dem Sonntag vor zwei Wochen ist, und also fast in jedem Jahr im Gottesdienst gelesen wird.

Sondern vor allem deshalb, weil er mir der Kompass meines Lebens geworden ist, seit ich über ihn zum ersten Mal als Konfirmand nachgedacht habe. Immer dann, wenn ich mir die Frage stellen MUSS: Was tun?

Ist er meine Antwort. Ich habe für mich akzeptiert, dass das einzige, was ich in meinem Leben ändern kann, ich selbst bin. Und dass das, was gut ist, allein von Gott kommt.

Also versuche ich, mich selbst immer dann, wenn ich spüre, dass mein Verhältnis zu Gott und dieser Welt leidet, mich auf guten Lebenskurs zu bringen, denn mir ist ja gesagt, was gut ist:

Recht zu tun. Ich muss nur darauf sehen, wie Gott uns Menschen begegnet, und mein Handeln dem unterordnen.
Güte zu lieben. Ich muss nur darauf sehen, wie Gott uns Menschen begleitet, und mein Handeln darauf ausrichten.
Besonnen mit Gott zu gehen. Denn er lebt, geht mit mir, geht mir voran. Ich muss nur darauf schauen, wie ich ihm folgen kann.

Das ist mein Lebens-Kompass, das ist auch euer Lebens-Kompass:

Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des heiligen Geistes

sind es, die unserem Leben Recht, Güte und Demut geben.

AMEN

EG 289: 2-4
2. Er hat uns wissen lassen
sein herrlich Recht und sein Gericht,
dazu sein Güt ohn Maßen,
es mangelt an Erbarmung nicht;
sein’ Zorn lässt er wohl fahren,
straft nicht nach unsrer Schuld,
die Gnad tut er nicht sparen,
den Schwachen ist er hold;
sein Güt ist hoch erhaben
ob den’, die fürchten ihn;
so fern der Ost vom Abend,
ist unsre Sünd dahin.
3. Wie sich ein Mann erbarmet
ob seiner jungen Kindlein klein,
so tut der Herr uns Armen,
wenn wir ihn kindlich fürchten rein.
Er kennt das arm Gemächte
und weiß, wir sind nur Staub,
ein bald verwelkt Geschlechte,
ein Blum und fallend Laub:
Der Wind nur drüber wehet,
so ist es nimmer da,
also der Mensch vergehet,
sein End, das ist ihm nah.
4. Die Gottesgnad alleine
steht fest und bleibt in Ewigkeit
bei seiner lieben G’meine,
die steht in seiner Furcht bereit,
die seinen Bund behalten.
Er herrscht im Himmelreich.
Ihr starken Engel, waltet
seins Lobs und dient zugleich
dem großen Herrn zu Ehren
und treibt sein heiligs Wort!
Mein Seel soll auch vermehren
sein Lob an allem Ort.

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