„Schaffe mir Recht“ – Judika! –
„und führe meine Sache wider das unheilige Volk
und errette mich von den falschen und bösen Leuten!“
Ferner Gott
Seinen Sohn schickt er ans Kreuz
Fordert das Leid
Will das Opfer
Naher Gott
Gehorsam ist er
Dienend ist er
Durch alles Dunkel zu sehen
Leben, aber anders
Der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse,
sondern dass er diene
und gebe sein Leben zu einer Erlösung für viele.
Matthäus 20,28
Jesus Christus: Wer ist das eigentlich?
Unter uns sind ja ganz unterschiedliche Vorstellungen zuhause.
Da ist Jesus, der solidarisch gewordene, mitleidende Bruder. Einer, der den Menschen seiner Zeit nahe kommen wollte und nahe gekommen ist. Der Zeit für sie hatte, sich ihnen zuwandte, wirklich zuhörte. Einer, die Gabe hatte, Menschen aufzurichten, sie aufrecht gehen zu lassen.
Dann ist da Jesus, das leuchtende Vorbild. Bibelfest, fromm und unbestechlich. Einer, der wusste, was Gott den Menschen bedeutet. Der vorlebte, wie Gott das Menschsein gemeint hat. Der nie eine wichtige Antwort schuldig blieb. Schon gar nicht, wenn es um den Glauben an den Gott Israels ging.
Dann ist da Jesus, der Christus. Der, der ohne Sünde blieb. Der Krankheiten heilt und Seelen zurecht bringt. Der Heiland und Erlöser der Menschheit ist. Für unsere Mütter und Väter, für uns, für immer.
Diese drei sind wohl die wichtigsten Vorstellungen vom Gottessohn. Für einige gehören alle drei zu Jesus, für andere zwei, für wieder andere nur eine. Einige können sich vorstellen, sich den ihnen ferneren Jesusbildern noch zu nähern, anderen wiederum bleiben einzelne Vorstellungen von Jesus unendlich fern.
Jesus, der große Mensch – damit leben viele gern. Aber Jesus: Gott selbst? Gottes Sohn? Erlöser der Menschheit? Das fällt vielen schwer, auch unter uns.
Ein Grund dafür ist sicher das Leiden und Sterben Jesu. Dass er als junger Mann wie ein Schwerverbrecher ans Kreuz genagelt und dort den Erschöpfungstod sterben musste, ist wohl historisch nicht ernsthaft zu bestreiten. Wo aber soll da Heil herkommen? Jesu Passion als Sieg Gottes über den Tod- das ist paradox, schwer oder gar nicht zu verstehen.
Darum lassen uns die Passionswochen alle Jahre wieder vor allem eines: Zeit. Zeit, um darüber nachzudenken, was das denn bedeutet: Zur Zeit des Pontius Pilatus gelitten, hinabgestiegen in das Reich des Todes.
Wir lesen Texte, die Leid und Rettung der Menschen durch das Handeln Gottes zum Thema haben, wie vorhin die Geschichte der ehernen Schlange, die zum Zunftzeichen der Ärzteschaft heute wurde (4. Mose 21, 4ff). Wir hören auf Fragen, was Gerechtigkeit und Leid je zusammenbringen kann. Auf Worte, die Jesu Leiden betrachten und zu deuten versuchen.
All das sind Worte, aus denen die Leidenschaft Gottes für seine Menschen spricht. Es sind viele verschiedene Blickwinkel auf das Problem des Kreuzes. Sie eröffnen oft neue Perspektiven, bringen uns näher zur Wahrheit.
SEINE Deutung versucht auch der Verfasser des Briefes an die Hebräer, wie er in der Bibel genannt wird. Ich lese aus Kapitel 5 die Verse 7-9:
7 Als Christus hier auf der Erde war – ein Mensch von Fleisch und Blut -, hat er mit lautem Schreien und unter Tränen gebetet und zu dem gefleht, der ihn aus der Gewalt des Todes befreien konnte, und weil er sich seinem Willen in Ehrfurcht unterstellte, wurde sein Gebet erhört.
8 ´Allerdings` blieb es selbst ihm, dem Sohn Gottes, nicht erspart, durch Leiden zu lernen, was es bedeutet, gehorsam zu sein.
9 Doch jetzt, wo er durch sein Leiden vollkommen gemacht ist, kann er die retten, die ihm gehorsam sind; ihm verdanken sie alle ihr ewiges Heil.
Der Versuch, zusammenzufassen, wer Christus war, lässt den Verfasser des Hebräerbriefes eine sehr konzentrierte Sprache sprechen. Systematisch trägt er zusammen, was ihm wichtig ist. Systematisch-theologisch, andere würden sagen: Dogmatisch.
Damit spricht er keine schöne Sprache. Dogmatik ist für viele kompliziert, starr und unnahbar. Eine Aufreihung von Feststellungen, die nur schlecht oder gar nicht diskutiert werden kann. Das sind Sätze, über die man länger nachdenken muss, bevor man sie versteht. Schwere Sätze. Wenn mir jemand sagt, ich hätte eine „dogmatische“ Predigt gehalten, ist das meist eine klare Rüge.
Andererseits versucht das jeder von uns immer wieder: Eine Sache auf ihren Punkt zu bringen, die vielen Einzelteile zusammen zu bringen, Kompliziertes klarer zu machen.
Denn das Ergebnis eines Denkprozesses muss doch irgendwie festgehalten werden. Ähnlich wie bei einem Glaubensbekenntnis: Eine Erinnerungsstütze für die Zeit, die kommt. Weil es einem wichtig ist, dass es nicht vergessen wird.
An JESUS sind dem Hebräerbriefschreiber drei Dinge besonders wichtig:
1. Jesus ist Mensch, kein Übermensch. Er schreit, er weint, er fleht. Er ist kein Superman, sondern am Ende seiner Kraft. Er schämt sich seiner Tränen nicht, er ist schwach, er ist angefochten.
Der Hebräerbrief nimmt die Sprache alttestamentlicher Beter auf. Die Klagepsalmen klingen an. Es ist SEINE Erinnerung an jene Nacht in Gethsemane, in der Jesus im Gebet mit Gott ringt.
Der Jesus in den Evangelien leidet eher still. Lukas schreibt lediglich von Schweißperlen wie Blutstropfen, und ein Schrei entringt sich erst dem Gekreuzigten.
Der Hebräerbriefschreiber aber lässt keinen Zweifel: Jesus war Mensch. Zu jeder Zeit einer von uns. Sein Schrei in Gottes, aber auch in unseren Ohren.
Jesus, unser Bruder.
2. Dann ist da Jesus, wie er sich zum Gehorsam durchkämpft. Nicht irgendwelchen Menschen, sondern Gott gegenüber. Dessen Weg ist für Jesus ganz offenbar nicht hell erleuchtet, sondern in tiefem Dunkel.
Jesus geht den Weg nach Golgatha nicht in der Gewissheit, dass er am Ostertag als der strahlende Sieger über allem steht. Und wenn vielleicht doch, hat ihm das den Gang ans Kreuz zumindest nicht erleichtert. Jesus geht in das Leid mit allen seinen Konsequenzen. Er durchleidet an jeder Faser seines Körpers, was jetzt kommt.
Hat er bis jetzt den Auftrag Gottes so ausgeführt, dass er sein Leben bestimmt hat, führt er ihn jetzt so aus, dass er sein Sterben bestimmt. War es bis jetzt Leidenschaft, wird es jetzt Leiden. War es bis hierher erfüllte Kür, wird es jetzt grausame Pflicht.
Der Mensch Jesus muss sich dazu durchringen. Er kürzt den Weg nicht ab. Er entzieht sich nicht durch Flucht, er bringt sich nicht selbst um, er steigt nicht durch ein großes Wunder lächelnd vom Kreuz.
Er sieht das auf sich zukommen, was nicht weniger ist als eine Katastrophe. Er geht durch die Erniedrigung, er stirbt in der Folter. Jesus entzieht sich nicht dem Leid, Jesus leidet. Das bleibt ihm nicht erspart. Er folgt dem Weg in das Dunkel, den Gott ihn gehen lassen will. Er lernt, Gott gehorsam zu sein.
Jesus – unser Vorbild.
Und schließlich 3.:
Jesus ist nicht nur menschlich nah, nicht nur Vorbild. Über ihm liegt der Glanz Gottes. Da ist mehr als nur unseresgleichen. Er ist vollkommen.
Was ihn vollkommen machte? Auch dass er leidet, wie er leidet. Dass er diesen Weg nicht ablehnt, sondern geht. Dass er das Sterben von Gott NIMMT wie er das Leben von Gott genommen hat. Dass er nicht meint, er müsse vom Leiden verschont bleiben, nur weil er Gott so nah ist. Weil er in der Katastrophe an der Liebe Gottes bleibt: „In deine Hände befehle ich meinen Geist.“
Genau hierin entsteht eine Erhörung der Schreie: Aus dem Bitten und dem Flehen erwächst ein Jesus, der im Gehorsam gegen Gottes Willen das Opfer seines Lebens bringt. Auch wenn er sein Leiden fürchtet wie jeder Mensch das Leiden fürchtet: Jesus geht diesen Weg, der ÜBERRASCHEND Gott zur Ehre und den Menschen zum Heil wird.
Er, der sich geopfert hat, ist von Gott zum Erlöser, zum Urheber des Heils geworden. Wer Gott gehorsam ist, weil Jesus gehorsam war, geht nicht verloren. Die ihm folgen, folgen ihm ins Heil.
Jesus – unser Heiland.
Jesus ist Bruder, Vorbild, Heiland. So, wie die meisten von uns hier um Verstehen ringen, hat der Schreiber des Hebräerbriefes um die Worte gerungen, die er aufgeschrieben hat. Es ist keine leichte Kost, eher eine Zumutung.
Und doch kommt es uns nah, weil es uns erinnert, warum Jesus Christus unser Herr ist und kein anderer.
Unser Text bestätigt uns, was wir sehen können, woraus wir Glauben schöpfen:
Jesus ist WIRKLICH Bruder, Vorbild, Heiland. Das kommt nicht aus uns. Und genau das ist so wichtig. Eine zeitlose Wahrheit, die zum Leben hilft. Den Menschen vor uns, uns selbst, unseren Kindern und Urenkeln: Christus ist WIRKLICH der, der das Leben zum Heil führt.
Meine Schwestern, meine Brüder:
Wir BRAUCHEN den, der uns nah ist, der uns Vorbild ist, der uns heilig gemacht hat.
Denn alle Versuche, sich selbst das Leid vom Leib zu halten, lösen das Leid nicht auf. Das gilt persönlich, gesellschaftlich und in der Gemeinde.
Für niemanden wird das Leben ohne Leiden verlaufen.
Selbst ein Mensch, der niemals in seinem Leben ernsthaft krank geworden ist, wird von sich sagen können: Ich musste nie leiden.
Menschen leiden an der Unfreundlichkeit und der Ablehnung anderer Menschen viel mehr, als man es ihnen von außen ansieht.
Menschen leiden darunter, dass sie unvollkommen sind. Dass sie nicht einfach das schaffen können, was sie sich in ihren Gedanken vornehmen. Dass sie bestens planen und doch immer wieder scheitern.
Menschen leiden darunter, dass wichtige, vielleicht allerwichtigste Beziehungen scheitern oder durch den Tod zur Unzeit beendet werden.
Auch wenn es viele nicht gern zugeben: Alle Versuche, sich dem Leiden wie auch immer zu entziehen, helfen niemandem weiter.
Es hilft nicht, Krankheiten zu ignorieren oder sich der Hoffnung hinzugeben, sie könnten an einem vorübergehen.
Wir können uns den Verletzungen durch andere Menschen nicht entziehen.
Trotz aller Mühe werden wir nicht vollkommen sein.
Der Tod wird weiter das Leben auf dieser Welt in Frage stellen.
Es wird nichts bringen, eine Flüchtlingsroute nach der anderen zu unterbrechen, nur um sich dann wie schon vor einem guten Jahr aus sicherer Entfernung anzusehen, wie Flüchtlinge stranden, scheitern, leiden oder gar sterben. Ohne das Recht auf einen Versuch bekommen zu haben, ihr Leben nach ihrem Entscheiden zu führen.
Es wird nichts bringen, sich dem Kleinerwerden der Gemeinde oder der steigenden Bedeutungslosigkeit christlichen Werten in dieser Gesellschaft zu entziehen, indem man sich zurückzieht, in vermeintlich schönen Erinnerungen schwelgt oder zu montäglichen Abendspaziergängen in Dresden oder anderswo aufbricht.
Wir brauchen den, den wir unsere Angst ins Gesicht schreien können. Den, der mit uns geht, mit uns Angst hat, mit uns leidet, mit uns weint. An ungeweinten Tränen, und unterdrückten Klagen kann man ersticken. Wir brauchen Gott, der in Christus an unserer Seite ist.
Wir brauchen Gott, der uns in Christus zeigt, wie er das Leben für uns gedacht hat. Dass Leid Teil des Lebens ist und bleibt. Das wir ihm begegnen müssen, aber dass wir es auch tragen müssen. Und dass uns Jesus auf allen Wegen vorangegangen ist.
Wir brauchen Gott, der uns vollkommen werden lässt, weil Christus vollkommen ist. Den, der unser Leben zum Heil führt. Durch Christus, den Heiland.
Wir brauchen die Leidenschaft Jesu Christi, die vor dem Leiden nicht haltmacht, sondern es in Gottesgehorsam durchschritten hat. Weil sie da ist, finden wir das Heil:
Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes.
Ihnen gehorsam zu sein bedeutet,
die große Ruhe in Gott zu finden,
weil die Leidenschaft Christi uns gegolten hat.
Amen.