Unseren Gottesdienst am 12. Sonntag nach Trinitatis zum Nachhören finden Sie für vier Wochen hier.
Ich will raus
raus aus diesem Leben
in wem steckt er nicht, dieser Schrei
raus aus dem Alltag
seinen Regeln
oft engstirnig
seinen Unveränderlichkeiten
die oft doch änderlich wären
raus aus seiner Ungerechtigkeit
die nicht einfach gottgegeben ist
raus aus seiner Kälte
mitten im Sommer
Gott schenkt Leben
in dieser Zeit und in Ewigkeit
Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen
und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen.
Jesaja 42,3
***
Eine der schönen Heilungsgeschichten aus dem Neuen Testament ist heute unser Predigttext. Nun aber nicht die von Jesus, der einen Taubstummen heilt, von der die heutige Evangelienlesung erzählt (Mk 7, 31ff). Diesmal heilt Petrus, ich lese aus Apg 3 1-10
Petrus aber und Johannes gingen hinauf in den Tempel
um die neunte Stunde, zur Gebetszeit. Und es wurde ein Mann herbeigetragen, lahm von Mutterleibe; den setzte man täglich vor die Tür des Tempels, die da heißt die Schöne, damit er um Almosen bettelte bei denen, die in den Tempel gingen.
Als er nun Petrus und Johannes sah, wie sie in den Tempel hineingehen wollten, bat er um ein Almosen. Petrus aber blickte ihn an mit Johannes und sprach: Sieh uns an! Und er sah sie an und wartete darauf, dass er etwas von ihnen empfinge.
Petrus aber sprach: Silber und Gold habe ich nicht; was ich aber habe, das gebe ich dir: Im Namen Jesu Christi von Nazareth steh auf und geh umher!
Und er ergriff ihn bei der rechten Hand und richtete ihn auf. Sogleich wurden seine Füße und Knöchel fest, er sprang auf, konnte gehen und stehen und ging mit ihnen in den Tempel, lief und sprang umher und lobte Gott.
Und es sah ihn alles Volk umhergehen und Gott loben. Sie erkannten ihn auch, dass er es war, der vor der Schönen Tür des Tempels gesessen und um Almosen gebettelt hatte; und Verwunderung und Entsetzen erfüllte sie über das, was ihm widerfahren war.
Eine schöne Geschichte, genau richtig für einen Sommer-Sonntag,
mit einem Happyend wie im Sonntagsmärchen, das immer sonntags um 12 Uhr im KIKA zu sehen ist.
Aber wir sind hier ja nicht im Kinderkanal kurz nach 12, sondern in der Kirche kurz nach 15 Uhr. Und hier sollte es schließlich um ernste Sachen gehen. Um Fragen, die unser Leben anrühren und ändern. Um Dinge, die uns in unserem Glauben weiterbringen. Und da hat es so eine Heilungsgeschichte nicht leicht.
Schon als ich noch zum Kindergottesdienst ging, steckte ich gerade DIESE Geschichte betreffend in dieser Klemme:
Ich mochte sie, weil sie schön erzählt ist und gut ausgeht.
Andererseits hatte ich Einwände, vor allem was die handelnden Personen betraf.
Das Jesus Kranke heilen konnte, bereitete mir keine großen Schwierigkeiten. Dem Sohn Gottes, zu dem ich gern aufsah,
sollte so etwas schließlich zuzutrauen sein. Der durfte gerne besser sein als meine Mutter, die Ärztin.
Aber Johannes und Petrus? Waren das nicht nur Jünger? Ganz normale Menschen wie du und ich, vielleicht mit einem ähnlichem Beruf wie mein Vater, der gerade nebenan in der Templiner Kirche auf der Kanzel stand und predigte?
Und dann ausgerechnet dieser Petrus, wankelmütig wie der Wetterhahn auf der Kirchturmspitze? Gerade ihm sollte ich so eine Leistung zutrauen?
Und wenn ich diesen Text heutzutage lese, stellt sich bei mir noch weiteres Unbehagen ein.
Da sind zuerst die Heiligsprechungen in der katholischen Kirche. Bis heute müssen ausgenommen bei Märtyrern zusätzlich zur Wichtigkeit der Person Wunder dokumentiert werden.
Selbst dem jugendlichen Carlo, der mit nur 15 Jahren an Leukämie starb und der heute heiliggesprochen wird, hat man zwei Heilungswunder „nachgewiesen“. Dass aber Heiligkeit etwas mit „nachweislichen“ Wundern zu tun haben soll, kann ich weder glauben noch verstehen.
Dann sind da Heilungsgottesdienste, die heutzutage hie und da in Kirchen stattfinden. Dort herrscht oft nämlich die Auffassung, dass ein Nicht-Gelingen der Heilung dem Klein-Glauben des Kranken zuzuschreiben sei, nicht aber am Ausbleiben des Wunders selbst. Als ob unsere Presbyterin kürzlich an Krebs verstarb, weil es ihr an Glauben mangelte!
Schließlich ist es bei jeder Heilungsgeschichte, die wir uns weitererzählen, immer eine unangenehme Frage, ob es zu Gottes wunderbaren Plan des Lebens gehört, dass die Eine geheilt wird und der Andere nicht.
Ich kann also sehr gut verstehen, dass auch andere ihre liebe Not mit Heilungsgeschichten haben. Es scheint ja sogar einfacher zu sein, sich an Märchen zu freuen, sie für das Leben wirklich bedeutsam werden zu lassen…
Jaaa, „ich weiß nicht, ob sie’s schon wussten…“:
„Hans im Glück“ ist eines meiner Lieblingsmärchen. Ein Märchen voller Bilder, das nicht nur ein Loblied singt auf die Entschleunigung vom Reiter eines schnellen Pferdes bis hin zum Wanderer.
Es ist ein Märchen, das davon erzählt, dass ein scheinbar Irrer großen Reichtum eintauscht in Freiheit und Heimat und mit nichts in der Tasche oder der Hand etwas findet, was nicht käuflich und unbezahlbar ist: Glück.
Ja, ich liebe dieses Märchen. Darum ist es für mich KEIN Wunder, dass gerade zu „Hans im Glück“ Jahr für Jahr neu Fortbildungs-Seminare angeboten werden:
Für Manger, für Sozialberater, für Pädagogen, für Therapeuten. Es ist in Gebrauch als Therapie bei Stress, in Depressionen, bei Burnouts.
Dieses Märchen wird dabei vielen Menschen wichtig, obwohl sie längst erwachsenen sind: Es öffnet nicht nur Kindern die Augen für das eigene Jetzt und Hier.
Das kann es einzig durch seine Aussage. Es zeigt auf kuriose Weise auf, dass Glück nicht einfach in materiellem Besitz liegt, sondern auch in Zufriedenheit und innerer Freiheit zu finden sein kann.
Es beschreibt einerseits, wie belastend Besitz sein kann und dass man andererseits durch das Loslassen von materiellen Bindungen zu einer großen Lebens-Zufriedenheit finden könnte.
Ob es diesen Hans mit seinem Gold-Klumpen wirklich je gegeben hat?
DIESE Frage habe ich mir bisher nie gestellt. Sie interessierte mich nie. Denn die Einzelheiten der Märchen-Komposition sprechen laut genug für sich – zumindest für mich.
Und ich kann mir auch nicht vorstellen, dass sich bei den Seminaren oder Therapien rund um „Hans im Glück“ irgendjemand ernsthaft mit dieser Frage beschäftigt. Das ist einfach völlig unwichtig, will man den Kern des Märchens erfassen.
Also: Warum sollten wir darum nicht auch bei unserer Heilungsgeschichte heute alle naturwissenschaftlich korrekten Fragen einfach beiseite lassen? Spannende und hilfreiche Details finden sich doch auch in dieser Komposition des Lukas:
Petrus und Johannes steigen am Nachmittag zum Jerusalemer Tempel hinauf. Die Treppe, die dort hin führte, wurde inzwischen von Archäologen ausgegraben. Es ist eine Treppe, wie niemand sie an seinem Gemeindehaus heute habe möchte, eine mit eigenem Schreit- Rhythmus:
Eine lange Stufe, zwei kurze, eine lange, zwei kurze. Man muss sie achtsam gehen, will man ohne zu stolpern oder gar zu fallen im Tempel ankommen. Ziel dieser Treppe: Die Entschleunigung des Menschen auf seinem Weg zum Gebet.
Die beiden Jünger wollen zur zweiten der drei jüdischen Gebetszeiten in den Tempel, also zu 15 Uhr, so wie wir jetzt. Die kleine Christenschaar Jerusalems hält sich wie selbstverständlich an die Brauch und Gemeinschaft.
Dann begegnen sie ihm, dem von Geburt an Gelähmten. Jeden Tag wird er hier abgesetzt, offenbar weil seine Familie nicht allein für seinen Lebensunterhalt aufkommen kann.
Direkt vor der so genannten „schönen Tür“ sitzt er nun, wahrscheinlich am Boden, einen Stuhl werden sie ihm nicht auch noch hergetragen haben.
Diese „schöne Tür“ ist vielleicht dieselbe, die dem römischen Geschichtsschreiber Josephus als besonders eindrückliches bronzenes Tor bekannt war.
Aber genau weiß das heute niemand mehr.
In jedem Fall ist diese Außen-Tür des Tempelhofes ein guter Ort, um zu betteln: Hier gibt es noch kein Gedränge wie im Tempelinneren, und der Kontrast zwischen der Schönheit der Tür und der Gebrechlichkeit des Kranken ist hilfreich, die frommen Vorbeigehenden an ihre Pflicht zum Almosengeben zu erinnern.
Der Kranke sieht nun von unten nach oben die beiden Männer kommen, also zunächst wohl nur zwei Paar Männerbeine. Er spricht sie an, wie er unzählige vor ihnen auch schon angesprochen hat. Bitte ein Almosen! Und hofft auf ein paar wortlos eingeworfene Münzen.
Das aber geschieht nicht. Stattdessen hört er den einen der beiden, der ihn auffordert, ihn anzusehen. Er spürt: Er sollte dieser Aufforderung nachkommen. So blickt er jetzt von unten nach oben auf, überrascht und gespannt, was die beiden ihm jetzt wohl zukommen lassen werden.
Lukas schreibt kein Wort davon, dass der Kranke und die beiden sich kennen. Der Kranke ahnt also nicht, mit wem er es hier zu tun bekommt.
Darum kann es in dem, was nun folgt, auch nicht um den Glauben des KRANKEN gehen. Wohl aber um den Glauben des PETRUS, der zu ihm sagt: Silber und Gold habe ich nicht; was ich aber habe, das gebe ich dir: Im Namen Jesu Christi von Nazareth, steh auf und geh umher!
Die Unbeweglichkeit des Beginns, die den Gelähmten bisher umgab, weicht plötzlich einer Dynamik. Es kommt Bewegung auf.
Das „sieh uns an“ lässt Distanz einer persönlichen Nähe weichen.
Dann nimmt Petrus ihn bei der Hand und hilft ihm auf. Diese Berührung bringt den Kranken auch körperlich in Bewegung.
Da erlebt er etwas völlig Neues, etwas, dass er lebenslang nicht kannte: Füße und Knöchel geben seinem Körper Halt. Er KANN es plötzlich, er TUT es auch: Aufstehen, stehen, umhergehen, herumlaufen, ja sogar springen. Ganz ohne Reha.
Gotteslob nicht nur durch Worte, sondern durch Bewegung. Hier läuft der durch den Tempel, der noch niemals in seinem Leben laufen konnte. Auch der Ort wohl ein Novum: IM Tempel. Der erste Gottesdienst- Tag seines Erwachsenenlebens.
Was macht diese Wendung seines Lebens möglich? Es ist der feste Glaube des PETRUS an die Möglichkeiten Gottes.
Es ist wie bei den „Brüdern Karamassow“ von Dostojewski. Zu einem alten Mönch kommt eine Mutter, um sich für die Heilung ihrer Tochter zu bedanken. Sie sei zwar noch nicht ganz gesund,
habe aber kein Fieber mehr und könne ihre Beine schon ein wenig bewegen- der Mönch habe sie also auf den Weg der Besserung gebracht.
Und die Mutter fragt den Mönch: Wie haben sie das gemacht?
Er aber antwortet: „Wenn etwas geschehen ist, so durch keine andere Kraft als durch Gottes Willen. Alles kommt von Gott.“
So auch hier. Petrus sagt: Im Namen Jesu Christi von Nazareth!
Es geschieht, was seit Jesaja von der Zeit des Heils erwartet wird:
„Dann werden die Lahmen springen wie ein Hirsch…“ (Jes 35,6)
Im Namen Jesu Christi von Nazareth- nicht im Namen des Petrus. Im Namen Jesu Christi: Gott selbst ist es, der weiter hilft.
Dass der Geheilte dies erkennt, können wir beim Weiterlesen sehen. Er betritt den Innenraum des Tempels, der für ihn ohne Hilfe bisher unerreichbar war. Er hätte jetzt ja auch Petrus und Johannes einfach danken und dann nach Hause gehen können.
Doch er lobt im Tempel Gott, der ihn diese Wende seines Lebens hat erleben lassen. Diese Lebenswende bestätigen dann die Zeugen. Sie alle KANNTEN den Kranken, wussten um sein Schicksal. Nun aber trauen sie ihren Augen kaum. Verwunderung und Entsetzen findet Lukas bei ihnen.
Die Reaktionen der Zuschauer damals waren nicht anders als viele Reaktionen heute. Was? Eine Spontanheilung!? Hat sich da nicht der Arzt mit der Diagnose vertan? War der Lahme gar nicht lahm gewesen?
Das Wunder lässt sie sich ver-wundern.
Ihre Weltsicht wird „erschüttert“.
Dieses Entsetzliche lässt sie sich ent-setzen.
Etwas geschieht an der Lehrmeinung vorbei.
Was soll jetzt werden, wenn selbst Naturgesetze nicht mehr gelten?
Meine Schwestern, meine Brüder,
eine Heilung, die zum Heil wird: Ein von Geburt an Gelähmter kann wieder gehen, laufen und springen. Einer, der immer um alles hat bitten müssen, der gebettelt hat, um Nahrung, um Geld, um Hilfe: Der lobt plötzlich, dankt, singt, betet und tanzt herum.
Einer, der immer nur draußen vor der Tür war, ist jetzt mittendrin. Eine Heilung, die zum Heil wird. Un-glaublich.
Wie ist es mit uns?
Wer glaubt wie Petrus, dass Gott etwas Un-glaubliches tut?
Etwas ganz und gar Un-mögliches?
Gegen alle menschliche Er-kenntnis?
Vielen Menschen sagt das Märchen vom Hans im Glück nichts. Darum wurde Hans in DDR-Märchenbüchern auch als Troddel dargestellt, der nicht zu schätzen wusste, was er hat.
Den Hans, der zum Schluss des Märchens auf Knien GOTT dankt, hat man einfach aus dem Märchen gestrichen.
Und so werden viele Menschen auch mit dieser Heilungsgeschichte nichts anfangen können oder wollen. Vielen ist es lieber, Gott als teilnahmslosen Zuschauer menschlicher Mühe hinzustellen, um ihn letztlich ignorieren und abwählen zu können. Nach dem Motto: Wenn diese Welt mit Mord, Totschlag und Ungerechtigkeit Gottes Plan ist, soll Gott mir gestohlen bleiben.
Dass Gott sich aber einmischt, etwas anderes geschehen lässt als Lehrbücher beschreiben, das würde ja das eigene Leben unverfügbar machen. Das aber ist vielen nicht geheuer, dass eine unendliche Macht eines unendlichen Gottes selbst ihre kleine endliche Lebensplanung durchkreuzen könnte.
Darum ist für mich diese Heilungsgeschichte so heilsam:
Sie lässt mich sehen, dass nicht nur mein, sondern jedes Leben unverfügbar ist. Und wenn ich dann frage, warum ich trotzdem lebe, hilft mir mein Glaube an den einen, wunderbaren Gott:
ER lässt Menschen ihr „blaues Wunder“ erleben.
Überraschend und unerwartet:
Er lässt den Gelähmten UND Hans neues Leben entdecken.
Und ich glaube, dass ER das nach seinem Plan nicht nur überraschend, sondern tagtäglich schafft:
Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sind es,
die dieses Leben erhalten, neues Leben finden lassen
und ewiges Leben schenken.
AMEN
EG 324: 13-17
13. Wohlauf, mein Herze, sing und spring
und habe guten Mut!
Dein Gott, der Ursprung aller Ding,
ist selbst und bleibt dein Gut.
14. Er ist dein Schatz, dein Erb und Teil,
dein Glanz und Freudenlicht,
dein Schirm und Schild, dein Hilf und Heil,
schafft Rat und lässt dich nicht.
15. Was kränkst du dich in deinem Sinn
und grämst dich Tag und Nacht?
Nimm deine Sorg und wirf sie hin
auf den, der dich gemacht.
16. Hat er dich nicht von Jugend auf
versorget und ernährt?
Wie manches schweren Unglücks Lauf
hat er zurückgekehrt!
17. Er hat noch niemals was versehn
in seinem Regiment,
nein, was er tut und lässt geschehn,
das nimmt ein gutes End