Unser Gottesdienst zum Gedenken an Reformation zum Nachhören ist für vier Wochen hier zu finden.
Kirche – sie steht in der Brandung kurzlebiger Zeit
NICHT wie ein Fels.
Wer will, dass unsere Kirche bleibt, wie sie ist,
will nicht, dass sie bleibt.
Denn so wie ich lebe,
so wie du lebst,
so ist Kirche
LEBENDIG.
Und was lebt,
kann nicht anders,
als sich zu ändern.
Woran aber bindet Kirche ihr Leben?
Woran kann Kirche sich festhalten?
Woran erkennt Kirche ihr Ziel?
Kirche hat nur ein Fundament,
auf dem sie stehen kann:
Einen andern Grund
kann niemand legen als den,
der gelegt ist,
welcher ist Jesus Christus.
(WSp 1 Korinther 3,11)
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Gedenktag der Reformation.
Gedenken an Geschichte, konkret an das Jahr 1517.
95 Thesen veröffentlicht der Theologe Martin Luther 1517 in Wittenberg am Vorabend von Allerheiligen, also an einem 31. Oktober.
Man sagt, dass er sie an diesem Tag an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg hätte annageln lassen, damit möglichst viele auf dem Kirchgang sie lesen würden. Diese Rechnung ging wohl auf; die Auseinandersetzungen um diese Thesen erschütterten die damalige Welt und setzten vor über 500 Jahren das in Gang, was wir heute allgemein mit „Reformation“ bezeichnen – obwohl Reformation ja nie enden kann.
Und diese „Reformation“ war nicht der einzige und auch nicht der erste Reformations-Versuch der Kirchengeschichte, auch nicht der neueren – hier sind vor allem die Namen Wyclif und Hus zu nennen
Schon 99 Jahre vor Luthers Geburt, also bereits 1383, starb John Wyclif. Der hatte in Englands Kirche Reformen angestoßen, er war auch wie später Luther oder Zwingli für eine Übersetzung der Bibel in seine Muttersprache verantwortlich. Seine kirchenkritischen Lehren wurden allerdings 30 Jahre nach seinem Tod als Ketzerei verworfen, seine sterbliche Überreste ausgegraben und er so posthum öffentlich verbrannt.
Die Lehren des Engländers waren auch Vorbild für den Tschechen Jan Hus, der knapp 20 Jahre nach dem Tode Wyclifs, genau seit 1402 in seiner Muttersprache predigte, Lieder dichtete und wie Wyclif gegen Ablasshandel und andere Missstände der Kirche kämpfte. Jan Hus wurde dafür allerdings schon zu Lebzeiten verbrannt. Das war 1415, also 102 Jahre VOR dem Thesenanschlag in Wittenberg.
Die Reformation Luthers in Deutschland und etwas später die Zwinglis in der Schweiz, Calvins in Frankreich sowie die aus Emden ausgehende Reformation in Norddeutschland und den Niederlanden waren dann allerdings nicht mehr durch Scheiterhaufen zu stoppen. Sie führten einige Jahrhunderte nach der Trennung der orthodoxen und katholischen Kirche nun zu einer weiteren Kirchentrennung, durch die verschiedene evangelische Kirchen entstanden.
Das und vieles mehr kann man dazu in den Geschichtsbüchern lesen. Auch, dass es bei den Auseinandersetzungen um die Vormachtstellung des Papstes, die Verquickungen zwischen weltlicher und geistlicher Macht oder auch den Ablasshandel ging. Und dass dieser Kirchenstreit sehr bald in handfesten Krieg um Macht und Einfluss mündete: 30 Jahre sollte er dauern und eigentlich nur Verlierer und keine Sieger hervorbringen.
Gedenktag der Reformation:
Gedenktag an lange Vergangenes.
Ein Gedenktag, der manches erklärt von dem, was heute ist.
Ein Gedenktag, der für manche wichtig, für manche weniger wichtig ist. Gut zu sehen daran, dass die Läden in Brandenburg am Donnerstag zu und die Züge nach Berlin besonders voll waren, weil so viele Brandenburger zum Einkaufen nach Berlin fuhren. Dabei hatten wir im Gottesdienst noch freie Sitzplätze anzubieten.
Vielleicht machen die Schweden es besser als wir – die feiern Reformationstag an einem Sonntag mitten in der Trinitatiszeit. Weil es dann eher um Geschichte als mehr um Theologie geht.
Gedenktag der Reformation. Worum ging es theologisch?
Man erzählt, dass sich der Mönch Martin Luther im Kloster mit der Frage quälte, wie er denn einen gnädigen Gott bekommen könne. Und diese Frage quälte ihn wirklich, seinen Leib und seine Seele, seinen Verstand und seinen Körper. Für viele heute kaum vorstellbar, dass ein Mensch so viel Angst vor einer Hölle haben kann, dass sie ihm Nachtschlaf und Seelenfrieden raubte.
In dieser Quälerei kam Luther Paulus zur Hilfe, insbesondere der Abschnitt aus dem Römerbrief, der heute unser Bibeltext ist. Ich lese ihn nach der Übersetzung der Zürcher Bibel.
In Kapitel 3 steht in den Versen 21-28:
21 Jetzt aber ist … die Gerechtigkeit Gottes erschienen – [unabhängig vom Gesetz, aber]
BEZEUGT durch das Gesetz und die Propheten.
22 Die Gerechtigkeit Gottes, die durch den Glauben an Jesus Christus für alle da ist, die glauben.
Denn da ist kein Unterschied:
23 ALLE haben ja gesündigt und die Herrlichkeit Gottes verspielt.
24 GERECHT gemacht werden sie OHNE Verdienst
aus SEINER Gnade
durch die Erlösung, die in Christus Jesus ist.
25 Ihn hat Gott dazu bestellt, Sühne zu schaffen …- durch die Hingabe seines Lebens. [(Und diese Sühne wird nur) durch den Glauben wirksam…].
Darin erweist er seine Gerechtigkeit,
…
26 …
ja, er zeigt seine Gerechtigkeit JETZT, in dieser Zeit:
Er IST gerecht und macht gerecht den,
der aus dem Glauben an Jesus lebt.
27 Wo bleibt da noch das Rühmen? Es ist ausgeschlossen.
Durch was für ein Prinzip? Das der Leistung?
Nein, durch das Prinzip des Glaubens!
II: 28 Denn wir halten FEST:
Gerecht wird ein Mensch durch den Glauben,
unabhängig von den Taten, die das Gesetz fordert. :II
Ja, ein schwerer Text, selbst in leicht gekürzter Fassung.
Genug komplizierte Gedankengänge, um jedes Jahr mehrfach über ihn nachzudenken, in Bibelstunden damit zu arbeiten und in Synoden darüber zu streiten. Heute nur soviel:
Der Schlussvers ist es, auf den die Argumentationskette des Paulus zuläuft. Leistungsdenken und Rühmen sind nichts als Selbstüberschätzung des Geschöpfes gegenüber seinem Schöpfer.
Das Ende der Trennung von Gott aber, die „Rechtfertigung des Sünders“ kommt allein aus Gottes Gnade, allein durch den Glauben des Menschen an den Sinn des Sühneopfers Christi.
Dieser Schlussvers wurde zum Bekenntnis der Reformation ab 1517, zum zentralen Thema evangelischer Theologie seither, egal ob lutherisch oder reformiert.
Man kann das im 1530 entstandenen lutherischen Augsburgischen Bekenntnis nachlesen.
Da steht in Artikel IV (im Anhang des EG zu finden):
„Weiter wird gelehrt, dass wir Vergebung der Sünde und Gerechtigkeit vor Gott nicht durch unser Verdienst, Werk und Genugtuung erlangen können, sondern dass wir Vergebung der Sünde bekommen und vor Gott gerecht werden aus Gnade um Christi willen durch den Glauben, nämlich wenn wir glauben, dass Christus für uns gelitten hat und dass uns um seinetwillen die Sünde vergeben, Gerechtigkeit und ewiges Leben geschenkt wird.“
Und auch der reformierte Heidelberger Katechismus hat sich wenig später, im Jahr 1563, ausführlich mit diesem Thema beschäftig. Er stellt und beantwortet entsprechende Fragen:
Wie bist du gerecht vor Gott?
Warum sagst du, dass du allein durch den Glauben gerecht bist? Warum können … unsere guten Werke nicht die Gerechtigkeit vor Gott oder ein Stück derselben sein? (Fragen 60 bis 62 – auch im Anhang des EG zu finden.)
All das predigt kurz und knapp, was Paulus einst im Römerbrief ausführlich schrieb.
Genau besehen geht es in dem, was Paulus im ganzen Brief an die Römer umtreibt, um die Frage nach dem Sinn unseres Menschen- Lebens. Paulus weiß, dass diese Frage nach dem Lebenssinn ALLE Menschen umtreibt, egal ob sie Juden oder Nichtjuden sind, egal wo auf dieser Welt sie wohnen, egal ob sie hochgebildet oder Analphabeten sind, arm oder reich, Frau oder Mann.
Und ALLE sind es in der Tiefe ihres Herzens leid, dass ihr Leben von „Neid, Mord, Streit Betrug und Hinterhalt“ und abfälligem Reden über Mitmenschen – so beschreibt er es in 1, 29 – geprägt ist. ALLE sind die „Sünde“ leid. Doch NIEMAND kommt aus eigener Kraft heraus aus diesen Untiefen des Lebens, sucht aber dennoch nach Sinn, Glück, Rettung.
Darum will Paulus auch ALLEN Menschen das Evangelium weitersagen, denn das Evangelium „ist die Kraft Gottes, die jedem, der glaubt, Rettung bringt“, schreibt er zu Beginn des Briefes in 1,16.
Das Evangelium BEANTWORTET also die Frage nach dem Sinn des Lebens, rettet einem das Leben, bewahrt davor, schon in diesem Leben eigentlich tot zu sein.
Als Luther sich die Frage stellte, wie er einen gnädigen Gott bekäme, fand er lange keine Antwort.
Er bekam aber heraus, dass selbst die allerbesten Taten ihm nicht weiterhelfen konnten. Einfach deshalb, weil es keine menschliche Existenz GIBT, die NICHT an Gott und dem Nächsten schuldig wird. Niemand kann es allen recht, GERECHT machen.
Darunter litt Luther so lange, bis er begriff:
Schon die FRAGE ist falsch. Denn sie weist Gott die falsche Rolle zu. Sie geht davon aus, dass der Mensch auch nur annähernd so mächtig sei wie Gott, dass der Mensch überhaupt etwas tun könne, was Gott noch nicht getan habe.
Aber der Mensch denkt und handelt erst dann Gott gemäß, wenn er Gott sein Gottsein als Schöpfer lässt und begreift, was es bedeutet, selbst Geschöpf Gottes zu sein.
Dann stellt er nämlich NICHT die Frage: Wie bekomme ICH einen gnädigen Gott? Sondern: Wie LEBE ich so, dass ich als GESCHÖPF, als SEIN Geschöpf lebe? WIE WIRD MEIN LEBEN DEM LEBENDIGEN GOTT GERECHT?
Und die Antwort auf DIESE Frage, die man in den konkreten Situationen seines Lebens stets konkret finden muss, die Frage nach DIESEM Gerechtwerden, diesem Auf-Gott-ausgerichtet-Sein: Sie IST die Antwort auf die nach dem Sinn eines Lebens,
das sich als Leben als Geschöpf Gottes begreift.
Sie erkennt, das nicht der Mensch, sondern Gott die Wende im Leben bringt. Er bringt sie in Jesus Christus, seinem Leben und Sterben für uns. Und dieser Christus zeigt uns:
Erkennt doch- ihr seid GESCHÖPF, nicht Schöpfer.
Gott verlangt nicht, dass ihr aus eurer Haut schlüpft.
Also werdet, was ihr seid: Mensch.
Tut, was ihr tun könnt:
Gebt Gott die Ehre! Liebt seine Welt, wie er sie liebt. Liebt euren Nächsten, wie er ihn liebt. Liebt euch selbst, wie er euch liebt. Gebt DEM euer Leben, der es euch gegeben hat. Dann liebt ihr Gott so, wie er euch liebt. Dann lebt ihr so, wie Gott euch gedacht hat. Dann lebt ihr wirklich: Als Geschöpf für den Schöpfer.
Für Luther war das das große Aufatmen. Die scheinbar ausweglose Lage des Menschen wird von Gott selbst durch Christus beendet. So kann Luther schreiben:
„Da hatte ich das Empfinden, ich sei geradezu von neuem geboren und durch geöffnete Tore in das Paradies eingetreten. Da zeigte mir sofort die ganze Schrift ein anderes Gesicht“
Meine Schwestern, meine Brüder:
Tiefer möchte ich im MOMENT nicht in die Wahrheit dieses Textes dringen. Aber zum Gedenken an Reformation möchte ich an die KONSEQUENZEN dieser Wahrheit erinnern.
Paulus will ALLEN Menschen das Evangelium weitersagen, denn das Evangelium „ist die Kraft Gottes, die jedem, der glaubt, Rettung bringt“ (1,16). Mit diesem Satz beschreibt er den einzigen unaufgebbaren Auftrag von allem, was sich Kirche nennt.
Doch Kirche besteht aus Menschen, und Menschen sind von Natur aus vergesslich. Und so ist es Paulus, der im 16. Jahrhundert die Kirche damals daran erinnern muss, wozu ALLEIN sie da ist: Dem Menschen zu bezeugen, dass seine Rettung durch Gottes Gnade geschehen ist.
Doch auch danach hat Kirche das immer und immer wieder vergessen. So musste in Deutschland 1934, also noch einmal 400 Jahre später die Bekenntnis – Synode in Barmen in Abwehr gegen die Übergriffe Hitlers auf die Kirche erneut daran erinnern:
„Der Auftrag der Kirche, in welchem ihre Freiheit gründet, besteht darin, an Christi Statt und also im Dienst seines eigenen Wortes und Werkes durch Predigt und Sakrament die Botschaft von der freien Gnade Gottes auszurichten an alles Volk“ (Begründung der 6. These, auch im Anhang EG zu finden).
Und auch heute, in ihrer großen Krise in unserem Land, wird Kirche sich WIEDER erinnern lassen müssen:
Gerechtigkeit kommt nicht aus Leistung, sondern aus Glauben, der der Auftrag der Kirche kann also nicht Leistung,
sondern muss Verkündigung der freien Gnade Gottes sein.
Kirche HAT geleistet.
Sie kann für sich beanspruchen, Krankenhäuser und Kindergärten „erfunden“ zu haben.
Diakonie oder Caritas sind Aushängeschilder dafür.
Sie kann für sich beanspruchen, einer der kulturellen Hauptträger im Denkmalschutz zu sein: Dome, Kirchen und andere Kulturdenkmäler für unser Land zu erhalten und mit Leben und Kultur zu füllen.
Sie kann für sich beanspruchen, religiöse Bildung in Kinder- und Jugendarbeit geleistet, die Zehn Gebote als Geist in unser Grundgesetz eingebracht zu haben, für soziale Gerechtigkeit einzutreten, Diskriminierung zu bekämpfen, sich für gerechten Frieden einzusetzen.
All das kann sie, MUSS sie vielleicht sogar für sich beanspruchen.
Aber wenn sie glaubt, dass sie das GERECHT macht, irrt sie.
Damit erliegt sie wieder und wieder dem Irr-Glauben an die Gerechtigkeit durch Werke, überhöht sich als Geschöpf dem Schöpfer gegenüber und VERFEHLT ihren gottgegebenen Auftrag.
Den Auftrag, den Paulus im Römerbrief beschreibt und den alle Reformbemühungen von Kirche immer und immer wieder ganz nach oben auf die Tagesordnung setzen müssen, lautet vielmehr:
Kirche hat nichts weiter zu tun als ALLEN Menschen das Evangelium weiterzusagen. Das Evangelium der freien Gnade Gottes, die Gerechtigkeit durch Glauben schenkt und die Kraft Gottes ist, die „jedem, der glaubt, Rettung bringt“ .
Über die Formen dabei mag man streiten.
Nicht aber über den Inhalt.
Sie wird auch nicht dadurch wichtig und gesellschaftsrelevant, weil sie etwas leistet, sondern wenn sie ihren Auftrag erfüllt.
Kirche kann nur gerecht werden,
wenn sie unbeirrbar DARAN festhält und es verkündigt:
Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus
und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes ALLEIN
sind unsere Rettung. AMEN
EG 341: 6-8
6. Der Sohn dem Vater g’horsam ward,
er kam zu mir auf Erden
von einer Jungfrau rein und zart;
er sollt mein Bruder werden.
Gar heimlich führt er sein Gewalt,
er ging in meiner armen G’stalt,
den Teufel wollt er fangen.
7. Er sprach zu mir: »Halt dich an mich,
es soll dir jetzt gelingen;
ich geb mich selber ganz für dich,
da will ich für dich ringen;
denn ich bin dein und du bist mein,
und wo ich bleib, da sollst du sein,
uns soll der Feind nicht scheiden.
8. Vergießen wird er mir mein Blut,
dazu mein Leben rauben;
das leid ich alles dir zugut,
das halt mit festem Glauben.
Den Tod verschlingt das Leben mein,
mein Unschuld trägt die Sünde dein,
da bist du selig worden.