Bartherntedank (Jes 58 7-11)

Leben
wir können es nicht
kaufen oder schaffen
lebensWERT ist es nicht,
weil wir es LEISTEN

Leben ist Geschenk
wer denken kann
muss danken
GOTT SCHENKT ES
EINmal ganz am Anfang
und NEU an jedem Tag

Aller Augen warten auf dich,
und du gibst ihnen ihre Speise
zur rechten Zeit.
Psalm 145,15
***
Ein Mann hatte einen Garten. Seit Ende der 19 60ger Jahre. Er grub ihn um, er pflanzte, er bewässerte ihn. Das ganze Jahr über, bis in den Herbst hinein, wuchs und blühte es. Schöne Früchte und würzige Kräuter, Blumen aller Art und schattige Bäume – ein kleines Paradies.

Wann immer es Zeit und Beruf erlaubten, ging der Mann schon morgens früh in seinen Garten. Und wenn er dann seine Arbeit tat oder auch nur in aller Ruhe dem Gesang der Vögel zuhörte, freute er sich über das, was er sah und hörte.
So fing die Geschichte an, die ich vor zwei Jahren zu diesem Predigttext an Erntedank geschrieben habe.

Nun haben wir seit diesem Kirchenjahr eine neue Predigttextordnung. Sie hat NEUE Predigttexte, würfelt aber auch die ALT verbliebenen bunt durcheinander. Damit keine Langeweile bei den Gottesdienstbesuchern aufkommen möge.

Also werde auch ich heute euch nicht mit einer Predigt langweilen, die viele von euch schon vor zwei Jahren gehört haben.  (Wer sie dennoch nachlesen will: hier im Archiv zu finden.)
Ich will euch vielmehr einladen, in diesem Jahr mit mir ein „theologisches“ Erntedankfest zu feiern. Zunächst aber den Predigttext, es ist nämlich der gleiche wie vor zwei Jahren. Aus dem Buch des Propheten Jesaja Kap. 58, die Verse 7-11 (12):

Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut!
8 Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des HERRN wird deinen Zug beschließen.
9 Dann wirst du rufen und der HERR wird dir antworten. Wenn du schreist, wird er sagen: Siehe, hier bin ich.
Wenn du in deiner Mitte niemand unterjochst und nicht mit Fingern zeigst und nicht übel redest,
10 sondern den Hungrigen dein Herz finden lässt und den Elenden sättigst, dann wird dein Licht in der Finsternis aufgehen, und dein Dunkel wird sein wie der Mittag.
11 Und der HERR wird dich immerdar führen und dich sättigen in der Dürre und dein Gebein stärken. Und du wirst sein wie ein bewässerter Garten und wie eine Wasserquelle, der es nie an Wasser fehlt…

Zunächst einmal ist das ein sehr politischer Text. Klar und unzweideutig fordert Jesaja ein sozial gerechtes Verhalten. Brich dem Hungrigen dein Brot, lass den Obdachlosen nicht im Regen stehen, unterjoche niemanden, zeige auf niemanden mit dem Finger, rede nicht schlecht über andere.

Das hat mich auf die Idee mit dem „theologischen“ Erntedankfest gebracht. Natürlich ist es auch sonst theologisch gut begründet, dass wir am Beginn des Herbstes dafür danken, dass Gott den Hunger unseres Lebens stillt. Den unseres Körpers ebenso wie den unserer Seele. In guten Erntejahren genau so wie in schlechten.

In diesem Jahr aber habe ich einen ganz persönlichen Grund zum Dank: Es ist Karl-Barth-Jahr. Ein Jahr des besonderen Gedenkens an einen großen reformierten Theologen aus der Schweiz, der vor genau einhundert Jahren mit seinem berühmten Kommentar zum Römerbrief Theologiegeschichte geschrieben hat.

Es bereitet mir wirklich sehr große Freude, in diesem Jahr vieles über und von Karl Barth zu lesen und mit der Gemeinde ins Gespräch zu bringen.

In der Sommerrüstzeit in Schweden haben wir intensiv über die Barmer Theologische Erklärung gesprochen, die im Wesentlichen von Karl Barth formuliert worden ist.
Und auch an Gemeindenachmittagen haben wir Barth schon zum Thema gehabt.
Und in der freitäglichen Bibelstunde lesen wir den Römerbrief mit Kommentaren von Karl Barth, und das bringt uns wirklich Gewinn.

Nun habe ich leider keine Predigt von ihm zu unserem Text gefunden. Aber Begebenheiten aus seinem Leben und einige Zitate, die mir zum Text zu passen scheinen.

In seiner ersten Pfarrstelle in Safenwil, gute 50 km von Basel entfernt, lernte er die große materielle Armut kennen, in der viele seiner Gemeindeglieder leben mussten. Er nahm ganz offen Partei für die etwa 700 Frauen und Männer, die in den zwei Textilfabriken Safenwils für Niedriglöhne 12 Stunden Tag für Tag arbeiteten, auch wenn ihm das in seinem Gemeindekirchenrat großen Ärger einbrachte

Im Arbeiterverein Safenwil hielt er 1911 einen Vortrag. Hier würdigte er den Sozialismus als direkte Fortsetzung der Geisteskraft, die Jesus von Nazareth in die Geschichte gebracht habe. Die Lehre Jesu und der reale Kapitalismus seien unvereinbar. Dieses System müsse fallen. Und die Kirche müsse endlich mutig aussprechen, dass soziale Not nicht sein solle, und sich dafür auch voll einsetzen.

Ein zentraler Satz: „Nicht wir sollen in den Himmel, sondern der Himmel soll zu uns kommen.“
Also: Kirche kann sich nicht in der Vertröstung auf das Jenseits gefallen. Sie muss dafür arbeiten, den Himmel zu den Lebenden zu bringen. Hunger, Obdachlosigkeit, bittere Armut: Dem dürfen Christen nicht länger zusehen. Vor allem dann nicht, wenn unter ihnen auf Kosten der Armen Wohlstand angehäuft wird.

„Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut!“ Diese Botschaft Jesajas ist auch die Botschaft Jesu und damit Karl Barths Botschaft.

Und das schon vor dem ersten Weltkrieg, als die meisten Verantwortlichen der evangelische Kirche nicht nur in der Schweiz, sondern auch in Deutschland im Wort „Sozialismus“ nur ein Wort des Teufels hörten. Die wollten sich gegen soziale Elend der Arbeiterschaft nicht engagieren. So wurde Barth zum „roten Pfarrer von Safenwil“; 1915 trat er in die Sozialdemokratische Partei der Schweiz ein.

„Wenn du in deiner Mitte niemand unterjochst und nicht mit Fingern zeigst und nicht übel redest…“ – diese Worte Jesajas galten für Karl Barth nicht nur IN der Kirche, sondern waren GRUNDSÄTZLICH zwischenmenschliche Forderung. Krieg war für ihn darum auf gar keinen Fall theologisch zu rechtfertigen.

Und als seine theologischen Lehrer vor allem in Deutschland das dennoch taten, brach er mit ihnen und auch mit ihrer Theologie. Für Barth war angesichts des Krieges „das schlechte Gewissen das christlich allein Mögliche“. Diese Haltung bewahrte er bis zu seinem Tode vor gut 50 Jahren, er war lautstarker Gegner der Wiederbewaffnung Deutschlands und der atomaren Aufrüstung.

Jesaja weiter: „sondern den Hungrigen dein Herz finden lässt…“ Schon im Januar 1945, also noch vor dem Ende des zweiten Weltkrieges, schrieb Barth seinen Schweizern ins Gewissen („Die Deutschen und wir“):

„Es käme nun … darauf an, ob wir bereit sind, denen Freunde zu sein, die uns nötig haben.
… Her zu mir, ihr Unsympathischen, ihr bösen Hitlerbuben und -mädchen, ihr brutalen SS-Soldaten, ihr üblen Gestapo-Schurken, ihr traurigen Kompromissler und (Kollaborateure), ihr Herdenmenschen alle, die ihr nun so lange geduldig und dumm hinter eurem so genannten Führer hergelaufen seid … Her zu mir, ich kenne euch wohl …, ich sehe …, dass ihr am Ende seid und wohl oder übel von vorne anfangen müsst, ich will euch erquicken, gerade mit euch will ich jetzt vom Nullpunkt her neu anfangen … Ich bin für euch! Ich bin euer Freund!“

Barth würde auch die Deutschen sein Herz finden lassen. Die das Grauen des zweiten Weltkrieges zu verantworten hatten. Die ihn aus seiner Bonner Professur geworfen hatten, weil er nicht bereit war, den Treueeid auf den Führer zu leisten. Schon deshalb, weil das deutsche Volk nach diesem Krieg nichts anderes so nötig hatte wie Freunde.

Karl Barth redete nicht nur von Freundschaft, er lebte sie. So war es für ihn selbstverständlich, bereits 1947 in der zerstörten Universität in Bonn wieder theologische Vorlesungen zu halten.

„Und der HERR wird dich immerdar führen und dich sättigen in der Dürre und dein Gebein stärken. Und du wirst sein wie ein bewässerter Garten und wie eine Wasserquelle, der es nie an Wasser fehlt.“ So lesen wir es bei Jesaja. Was für ein wundervolles Bild der Taten unseres unendlich großen Gottes an seinen Geschöpfen!

Die unendliche Größe Gottes unter uns Menschen zu bewahren – das ist die zentrale Botschaft Karl Barths. Sie zieht sich wie ein roter Faden auch durch sein Hauptwerk, die „Kirchliche Dogmatik“. Auch wenn die durch seinen Tod am 10. Dezember 1968 unvollendet blieb, misst ihre Breite im Bücherschrank schon nach Metern.

Ja, Barth zu lesen ist nichts für Feiglinge. Und was man gar nicht erst versuchen sollte, wenn man ihn lesen will, ist: Damit irgendwie „fertig“ werden zu wollen.

Aber das gilt ja selbst schon für seinen Kommentar zum Römerbrief von 1919, der ihm Professuren ohne Doktortitel oder gar Habilitation in Deutschland eingebracht hatte. 1921 in Göttingen, 1925 in Münster, 1930 in Bonn.

Das wohl allgemein bekannteste Zitat von Karl Barth ist wohl dies: „Wir sollen als Theologen von Gott reden. Wir sind aber Menschen und können als solche nicht von Gott reden. Wir sollen Beides, unser Sollen und unser Nicht-Können wissen und eben damit Gott die Ehre geben.“ (Das Wort Gottes als Aufgabe der Theologie, 1922) Dieses Zitat beschreibt wohl am deutlichsten, warum seine Theologie als „dialektische Theologie“ bezeichnet wurde und wird.

Gottesliebe ohne Gottesfurcht war für Barth undenkbar. So wie zuvor schon für Luther, der in seiner Erklärung zum ersten Gebot kurz und bündig schreibt: „Wir sollen Gott über alle Dinge fürchten, lieben und vertrauen.“. Auch Luthers Erklärungen zu den anderen Geboten beginnen mit: „Wir sollen Gott fürchten und lieben…“.

Gott ist zu fürchten, weil er in seiner Größe nie erkannt, nie verfügbar, nie verstanden werden kann. Wo wir Menschen das vergessen, können wir Gott nie näher kommen. Gott ist so unendlich groß, dass er uns auch unendlich nahe kommen kann. So kann Barth in einer Predigt sagen: „(Gott) ist der ALLZEIT und ÜBERALL nahe Gott … Er ist uns näher, als wir uns selber sind.“

Er ist uns näher, als wir uns selber sind: Ein Satz, der mich immer wieder anrührt, wenn ich ihn lese. Weil er mir Gott immer wieder nahe bringt. Und ich begreife, wie fern ich mir selber oft bin.

Karl Barth blieb dabei durchaus bescheiden. Er übersetzte 2. Kor 12,9 mit „Meine Gnade genügt dir!“ und sagte dazu in einer Predigt in einem Gefängnis:

„Einige von Euch haben vielleicht etwas davon läuten hören, dass ich in den letzten vierzig Jahren sehr viele und teilweise sehr dicke Bücher geschrieben habe. Ich darf aber frank und frei und auch fröhlich zugeben, dass die vier Wörtlein ‚meine Gnade genügt dir’ viel mehr und sehr viel Besseres sagen als der ganze Papierhaufen, mit dem ich mich da umgeben habe.
Sie genügen – was ich von meinen Büchern von ferne nicht sagen könnte. Was an meinen Büchern Gutes sein möchte, könnte höchstens darin bestehen, dass sie von ferne auf das hinweisen, was diese vier Wörtlein sagen.“

Meine Schwestern, meine Brüder,

es wird mir schwer, jetzt einen runden Schluss für meine Predigt zu finden. Ich denke, ihr merkt, dass es mir Karl Barth angetan hat, und vielleicht ahnt ihr auch, warum. Wenn ich eine Predigt für MICH brauche, lese ich IHN. Und dass ich ihn lesen kann, macht mich zutiefst dankbar. Jedes Mal.

So ist dieses Erntedankfest in diesem Jahr mein besonderes Fest der Dankbarkeit dafür, dass Gott nicht nur meinen Leib, sondern auch meine Seele erhält.

Zum heutigen Thema vielleicht doch noch so viel: „Freude ist die einfachste Form der Dankbarkeit.“ So Barth. Und so erlebten ihn viele. Mit einem Lächeln, die Pfeife im Mundwinkel und immer wieder einem Scherz in aller Ernsthaftigkeit:

„Der größte Theologe dieses Jahrhunderts (ist) vielleicht irgend ein kleines Männlein oder Weiblein, das in aller Stille irgendwo Bibelstunden gehalten hat. Ich habe ja nun etwa 10 Ehrendoktorhüte (im Himmel alle an der Garderobe abzugeben!).“

Bibellesen: Das bleibt für Barth Größte. Das bleibt für UNS das Größte. Denn hier, in der Bibel, begegnen wir Menschen, die Zeugnis ablegen von der unendlichen Größe Gottes.

Hier begegnen wir solchen Zeugnissen wie heute zu Erntedank
dem wunderbaren Bild des großen Gottes-Friedens nach Jesaja:

Und der HERR wird dich immerdar führen und dich sättigen in der Dürre und dein Gebein stärken. Und du wirst sein wie ein bewässerter Garten und wie eine Wasserquelle, der es nie an Wasser fehlt…

Ja:
Dieser Friede Gottes IST größer,
als all unser Denken es fassen kann.
Er wird unsere Leiber und Seelen bewahren
in Christus Jesus.

Denn in Christus Jesus kommt Gott uns näher
als wir selbst es sind. AMEN

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