Unsere Zeit auf dieser Welt ist gemessen
gemessen zwischen Anfang und Ende
Geburt und Tod
Die Grenzen unserer Zeit
werden gelöst in der Ewigkeit Gottes
Hier werden alle Tränen getrocknet
Leid und Geschrei werden nicht mehr sein.
bei Gott wird möglich sein
was in unseren Zeiten unmöglich ist
Lasst uns daher
aufmerksam leben
mit wachsamen Blick für das
was wirklich wichtig ist
Lasst eure Lenden umgürtet sein
und eure Lichter brennen.
Lukas 12,35
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Totensonntag ist heute. Sagen die meisten, auf den Friedhöfen, in den Häusern, in vielen Zeitungen. Auf den Kirchhöfen ist Großbegängnis, die Gräber sind mit Tannengrün und Wintergestecken geschmückt. Immer öfter sieht man auch in unserer Gegend rote Kerzen zur Erinnerung flackern.
Denn jede Familie hat sie, ihre Glieder, die vorausgegangen sind: Großeltern, Eltern, Lebenspartner oder gar Kinder. Toten – Gedenken in frischer Trauer, Dankbarkeit, Nachdenklichkeit. Die Natur hilft dabei: Kahle Bäume, kaum Sonne, viel Nebel. Und in kaum einem Monat so viele Beerdigungen wie eben im November. Totensonntag ist heute.
Das ist kein pragmatischer Name. Totensonntag SAGT sich einfach leichter als Ewigkeitssonntag oder gar „Gedenktag der Entschlafenen“. Und außerdem haben ja alle Namen etwas miteinander zu tun: Tot, Entschlafen, Ewigkeit. In unserem Gemeindekalender heißt dieser Sonntag pragmatisch „Ewigkeitssonntag“. Und das ist auch gut so. Denn wer weiß schon mit der „Ewigkeit“ wirklich etwas anzufangen?
„Das dauert ja eine Ewigkeit!“ heißt es doch schon, wenn die Baustellenampel zu lange auf Rot steht. Und wenn Häuser „für die Ewigkeit“ gebaut sind, heißt das noch nicht zwingend, dass sie den nächsten Herbst – Sturm unbeschadet überstehen.
„Ewigkeit“ ist kein Teil unseres Lebens. Eher ist es umgekehrt. Ein Leben, eingegrenzt in die Zeitspanne zwischen der Schwangerschaft der Mutter und dem eigenen Tod, als Teil einer Zeit, die keine Zeit ist, ohne Anfang, ohne Ende: Unendlichkeit. Das lässt sich nur schwer vorstellen.
Vorstellen lässt sich eher die Lebensuhr der Welt. Deren Zeiger drehen sich mal schnell, mal langsam. Wenn man älter wird, immer schneller: Kinder, wie die Zeit vergeht! Gestern noch Abitur, heute schon 25jähriges Klassentreffen. Gestern noch jung verheiratet, heute schon doppelter Großvater. Gestern Berufsanfänger, heute Rentner. Und tickt sie für uns nicht mehr, tickt sie weiter für die Kinder, Enkel und Urenkel, so wie sie früher für Eltern, Großeltern und Urgroßeltern tickte.
An einem Grab aber hilft uns diese Uhr nicht weiter. Denn der, der da liegt, ist aus dieser Zeit herausgefallen. An einem Grab, egal ob schon älter oder noch ganz frisch, hilft nur die Ewigkeit weiter. Man spürt plötzlich, dass man nur kurz lebt und doch unendlich lange tot sein wird. Darüber wird man also nachdenken müssen.
Wo geht der Mensch hin, wenn er nicht mehr hier ist? Wird er nur wieder Erde oder ist auch hier mehr, als wir denken können? Was war, als wir noch nicht waren? Was erleben WIR, wenn wir gegangen sind?
Ewigkeit: Was hat es mit diesem großartigen Reich Gottes auf sich, das doch noch keiner gesehen haben kann, solange er hier auf dieser Welt lebt, und auf das doch so viele hoffen? Wie bestimmt all das unser Hier und Jetzt?
Das Himmelreich: Gesehen hat es keiner. Und doch hat Gott uns Bilder sehen lassen. Mancher hat solche Bilder gemalt, mancher sie gesungen, mancher hat sie erzählt. Matthäus ERZÄHLT uns im Tagesevangelium für heute von einem Bild für’s Himmelreich, ich lese aus der Neuen Genfer Übersetzung, Kapitel 25 ab Vers 1
1 »Wenn der Menschensohn kommt, wird es mit dem Himmelreich wie mit zehn Brautjungfern sein, die ihre Fackeln nahmen und dem Bräutigam entgegengingen.
2 Fünf von ihnen waren töricht, und fünf waren klug.
3 Die Törichten nahmen zwar ihre Fackeln mit, aber keinen Ölvorrat.
4 Die Klugen dagegen hatten außer ihren Fackeln auch Gefäße mit Öl dabei.
5 Als sich nun die Ankunft des Bräutigams verzögerte, wurden sie alle müde und schliefen ein.
6 Mitten in der Nacht ertönte plötzlich der Ruf: ›Der Bräutigam kommt! Geht ihm entgegen!‹
7 Die Brautjungfern wachten alle auf und machten sich daran, ihre Fackeln in Ordnung zu bringen.
8 Die Törichten sagten zu den Klugen: ›Gebt uns etwas von eurem Öl; unsere Fackeln gehen aus.‹
9 Aber die Klugen erwiderten: ›Das können wir nicht, es reicht sonst weder für uns noch für euch. Geht doch zu einem Kaufmann und holt euch selbst, was ihr braucht!‹
10 Während die Törichten weg waren, um Öl zu kaufen, kam der Bräutigam. Die fünf, die bereit waren, gingen mit ihm in den Hochzeitssaal. Dann wurde die Tür geschlossen.
11 Später kamen auch die anderen Brautjungfern und riefen: ›Herr, Herr, mach uns auf!‹
12 Doch der Bräutigam antwortete: ›Ich kann euch nur das eine sagen: Ich kenne euch nicht!‹«
13 »Seid also wachsam!«, ´schloss Jesus.` »Denn ihr wisst weder den Tag noch die Stunde im Voraus.«
Nicht um eine Beerdigung – um eine Hochzeitsfeier geht es hier.
Das ist die erste gute Nachricht: Wenn wir über die Ewigkeit reden, reden wir nicht über Trauer. Es wird nicht darum gehen, was wir auf dieser Welt der Zeit verlieren oder verloren haben werden, wenn wir sie verlassen müssen.
Wir reden nicht über Trauer, sondern über Freude. Über ein Fest, auf das man sich aus ganzem Herzen freut, auf dem man unbedingt dabei sein will. Ich weiß, es gibt auch Festmuffel, die lieber einen großen Bogen um Feste machen. Aber nicht die zehn Brautjungfern. Sie warten schon sehnsüchtig vor dem Haus der Braut auf dem Bräutigam. Mit ihm zusammen wollen sie die Braut zum Hause des Bräutigams begleiten. Dort soll die Hochzeit stattfinden. Und auch wir wollen da hin.
Festlich soll der Zug werden. Darum sollen ihn möglichst viele Fackeln begleiten. Tonfackeln muss man sich hier vorstellen, in denen ein mit Öl getränktes Stück Stoff als Docht brennt und so auch bei Wind Licht verbreitet. Keine Öllämpchen, wie wir sie von vielen Bildern oder aus anderen Bibelübersetzungen kennen. Die taugen nur für geschlossene Räume.
Der Bräutigam lässt auf sich warten, der Junggesellenabend dauert wohl länger als gedacht. Aber die Fackeln hier am Haus brennen schon, und der Ölvorrat in ihnen ist schon fast aufgebraucht, als er kommt und es losgehen soll. Die einen haben für diesen Fall vorgesorgt, die anderen nicht.
Teilen wäre jetzt angesagt, doch Teilen hilft hier nicht. Dann würden alle Fackeln zu früh ausgehen, und alle stünden im Dunkeln, noch bevor der Hochzeitszug angekommen wäre. Was wäre das für ein Ohmen für eine junge Ehe! Es ist richtig, dass die klugen Brautjungfern die anderen zum Ölholen schicken. Eine andere Lösung gibt es nicht. Selbst mitten in der Nacht, irgendwer wird ihnen noch Öl verkaufen, schließlich ist ja Hochzeit.
Natürlich stellen wir uns gern auf die Seite der klugen Begleiterinnen. Wir wollen mitsingen können: „Er wird uns fröhlich leiten/ ins ewig Paradeis,/ die Hochzeit zu bereiten/ zu seinem Lob und Preis.“ (EG 148,5) Also sorgen wir rechtzeitig vor, wollen das Entscheidende nicht verpassen, gerade in Glaubensdingen nicht.
Aber da ist die Müdigkeit. Die Zeit wird immer länger, und Körper und Seele werden müde. Graue Novembertage mit den am feuchten Boden klebenden Blättern sind keine geschmückte Kirche mit ausgestreuten Rosenblättern für das Hochzeitspaar. Wir kennen das Gefühl, die Tür zum Festsaal sei längst zugefallen, Lichter und Musik spielen sich nur hinter den Fenstern ab, und wir sind draußen.
Darum ist unser Mitgefühl mit den schlecht vorbereiteten Brautjungfern, die jetzt erst in die Nacht müssen, um Öl zu beschaffen, nicht gespielt. Wir kennen ihre Rolle. Wie oft fehlt es uns an Öl. Wir möchten brennen, können aber nicht. Wir wissen, dass wir besser auf die Ölvorräte unseres Lebens achte müssten. Dass wir auftanken müssen, nicht erst wenn aller Vorrat aufgebraucht ist und die Preise steigen.
Wir kennen die Momente:
Gott ist bereit, wir aber nicht.
Gott ist uns nahe, wir ihm aber nicht.
Gott ist drinnen, wir sind draußen.
Wir sollten anderen den Weg ausleuchten, wir können aber nicht.
Gerade im November kann jeder das gut nachfühlen. Diese Tage, in denen wir an die denken, deren Leben zu Ende gegangen ist. Tage, die uns erinnern, dass auch unsere Lebenszeit zu ende gehen wird.
In diese Novembertage hinein singt der Beter des 90. Psalms: „Herr, lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden“. So klug wie die fünf Brautjungfern, die nicht wissen, wir lange sie werden warten müssen, und sich doch gut auf das Kommen des Bräutigams eingerichtet haben. »Seid also wachsam!«, ´schloss Jesus.` »Denn ihr wisst weder den Tag noch die Stunde im Voraus.«
Meine Schwestern, meine Brüder:
Hochzeit- HOCH-ZEIT. Ein Fest wie KEIN anderes. Das bleibt die gute Nachricht von heute: Die Ewigkeit wird sein wie ein großes Hoch-Fest.
Die Vorbereitungen sind schon in vollem Gange. Wedding-Planer sind heute immer öfter beteiligt und kümmern sich professionell um alles, was zu einem unvergessenen Fest gehört. Von der Auswahl dessen, was das Brautpaar anziehen wird, über die Gestaltung der Räume und Gärten, der Menüfolge beim Essen, der Musik, der Tanzfläche. Wer neben wem sitzt.
Auch Köche, Musiker, Floristen und manchmal sogar Pfarrer tun das ihre zum Gelingen solcher Hoch-Zeiten. Alles perfekt- wenn nun auch noch das Wetter mitspielt.
All das zu wissen, macht uns Freude auf das, was kommt. Lässt in uns eine Vorfreude anwachsen auf etwas Großes, auf einen wirklichen Höhepunkt. Allein die Ankündigung einer Hochzeit setzt in uns vieles frei: Bilder, Töne, Emotionen.
Mitten im Leben bin ich vom Tod umgeben. Aber weil ich von dem Fest des Himmelreiches weiß, bin ich mitten im Tod vom Leben umfangen. Denn der Bräutigam KOMMT. Sein Licht setzt vieles frei: Bilder, Töne, Emotionen.
Darum müssen wir vor dem Tod nicht kapitulieren, auch nicht vor dem eigenen. Wer die Erfahrung der Endlichkeit aushält, für den kann die Fackel der Ewigkeit wieder leuchten. In diesem Licht wird jeder Tag, der noch kommt, kostbar. In diesem Licht kann der Tod nicht mehr lähmen, die Trauer nicht mehr die Hände binden. Das hilft am Grab: Die Fackel der Ewigkeit.
Zwar keine schlechte, aber doch ernste Nachricht: Auf Feste muss man sich vorbereiten. Jeder, egal ob Frau oder Mann, Kreis oder Kind. Um im Bild zu bleiben: Man muss wissen, wie man das Fest erreicht. Man muss wissen, was man anzieht. Was man selbst einbringen will in das Fest. Oder ob man Geschenke bringt.
Weil diese Hoch-Zeit ein Bild für das Gottesreich ist, zurück zur Realität: Zum Tod, den wir alle werden sterben müssen. Soll er uns unvorbereitet treffen, so dass wir erst noch loslaufen und nach Brennstoff suchen müssen?
Martin Luther schrieb über den Tod:
„Wir sind allesamt zu dem Tod gefordert,
und wird keiner für den andern sterben,
sondern jeder in eigener Person mit dem Tod kämpfen.
In die Ohren können wir wohl schreien,
aber ein jeglicher muss für sich selber geschickt sein
in der Zeit des Todes:
Ich werde dann nicht bei Dir sein – noch Du bei mir.“
Ein jeglicher muss für sich selber geschickt sein.
Nicht: Ungeschickt. Schlecht vorbereitet. Ohne Plan.
Denn selbst wenn im letzten Moment jemand meine Hand halten sollte, und wie sehr wünsche ich mir das:
Das Leben wird aus MIR weichen, übrig bleibt wohl der verwesende Körper, zu dem auch diese Hand gehört.
WIE man aber seinen Körper verlässt, ob froh oder bedrückt, voller Hoffnung oder niedergeschlagen, mit einem Ziel oder in die Leere – ob geschickt oder ungeschickt, hängt davon ab, ob man sich auf diesen Moment vorbereitet hat oder nicht.
Zurück zum Bild: Wir könnten zu den Törichten gehören, die letztendlich darauf angewiesen sind, dass jemand anderes sie DOCH noch erkennt und sie in den Festsaal einlässt.
Oder wir gehören zu den Klugen. Die von Beginn an dabei sind. Zu denen, die wissen, dass der Ölvorrat, den man zur Taufe geschenkt bekommen hat, immer wieder aufgefüllt werden muss.
Dass man dazu die Kirche braucht, wo immer sie steht, wie immer sie aussieht und wie immer die Menschen sind, die sich in ihr treffen: Denn hier ist das Öllager.
Egal ob einer der vielen ehrenamtlichen Aktiven, aus der kleinen Schar der beruflichen Mitarbeiter oder auch der Pfarrerschaft – irgendeiner der Ölverkäufer hier wird weiterhelfen können beim Auffüllen des eigenen Vorrates. Und:
NUR HIER wird man sie hören,
die Worte nach dem Festmahl,
nach deren Erfüllung sich alles in uns sehnt:
Das stärke und bewahre uns im Glauben –
zum ewigen Leben.
Amen.