Unrecht, Qual,
Verfolgung, Erpressung,
Krankheit, Tod
Menschen leiden am Leben
alle
Gott tröstet und spricht:
Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht.
Johannes 12,24
Irgendwie scheint das Leben ganz grundsätzlich merkwürdig organisiert zu sein. Da haben zum Beispiel wir uns Mitte Februar auf den Weg gemacht, um mit Bahn, Flugzeug und Bus einen Ort 4500 km weiter südlich zu erreichen. Aus dem winterlichen Deutschland auf die warme Insel Fuerteventura, die politisch zu Spanien gehört, geographisch aber eher ein Teil Afrikas ist. Noch einmal 2500 km weiter Richtung Süden, und wir wären am Äquator gewesen.
Drei Wochen haben wir es uns da gut gehen lassen: Stundenlange Wanderungen über Stock und Stein oder am Strand des Atlantik. Sonnenbaden, Lesen, Schlafen, Essen. Ausflüge allein oder in großen Gruppen. 850 km Fiat Panda gefahren, 450 Fotos mehr auf der Festplatte, 5 Bücher mehr gelesen. Gottesdienste mit Pfarrer Hans Wilhelm Koopmann gefeiert (Wie gut, dass Ihr mich von dem eindeutig unterscheiden könnt: Ich habe einen Vornamen mehr als er…).
Nach drei Wochen war es dann aber genug. Also wieder zurück nach Hause. Weg aus der Halbwüste aus Lavagestein, Wanderdünen und üppig blühenden Gärten und grünen Oasen, wo fast jeder Tag im Jahr die 20 Grad- Marke schafft und das Außenthermometer selbst im Februar auch mal 40 Grad anzeigt. Zurück nach Deutschland, wo immer noch Winter ist und bestenfalls Schneeglöckchen den Frühling einzuläuten versuchen.
Weg aus dem Urlaub, wo man das tut, wozu man Lust hat, zurück zu dem, was man machen muss. Wieder hinein in den Alltag im Pfarramt mit seinen sehr schönen und seinen wirklich ärgerlichen Seiten. Auf die ersteren habe ich mich gefreut, vor den anderen mich gefürchtet.
Und dann sitze ich an dieser Predigt und denke: Warum ist das Leben nicht einfach viel entspannter? Warum ist die Arbeit nicht gleich so gemacht, dass sie an jedem Tag einfach nur Spaß macht? Wozu gibt es all den Ärger, auf den man liebend gern verzichten würde?
Warum ist man immer irgendwann wieder urlaubsreif? Und warum muss man dann so weit fliegen, wenn man im Winter Sonne, Strand und Baden will? Könnte der Allmächtige das nicht wirklich besser organisieren?
Ich weiß gar nicht, wo oder bei wem ich diesen Satz zuerst gehört habe: „An einem wirklich schönen Ort lässt es sich schlecht leben, er treibt einem die Sehnsucht aus.“ Ich lese diesen Satz wieder und wieder und weiß, dass er stimmt. Aber auch, dass ich es aus Gründen, die ich nur schwer erklären kann, gerne anders hätte.
Und wenn ich diesen Satz hochrechne, stimmt er leider immer noch: Auf einer wirklich schönen WELT lässt sich schlecht leben, sie treibt einem die Sehnsucht aus.
Das aber stimmt mich traurig. Denn ich hätte doch lieber eine Welt, die für alle Menschen überall einfach nur so schön ist, wie der Urlaub schön war. Oder wie der Teil der Arbeit, auf die ich mich freue.
Aber das Leben auf dieser Erde ist anders.
Ganz anders.
Die einen haben Arbeit, Auskommen und Wohlstand, die anderen laufen barfuß durch den Schnee.
Die einen haben ihr Häuschen mit Garten und ihren See vor der Tür, die anderen sehen keinen anderen Weg, als alles stehen und liegen zu lassen und ins Ungewisse zu fliehen.
Die einen finden die Liebe ihres Lebens und gehen gemeinsam durch dick und dünn, die anderen suchen lebenslang, ihrer Einsamkeit zu entkommen.
Die einen sind geborene Frohnaturen, die wirklich nichts aus der Bahn werfen kann, die anderen hangeln sich von Depression zu Depression.
Die einen können mit 80 noch springen, tanzen und joggen, die anderen kommen schon mit 50 vor Schmerzen kaum noch aus dem Bett.
Seit Kindesbeinen aber gibt es aber das Ungerechtigkeits-Gen in uns. Das sehr schnell spüren lässt, wenn es anderen besser zu gehen scheint als uns selbst. Im Laufe der Lebens-Zeit ist es herangewachsen zu einem Gerechtigkeits-Gen.
Das sagt uns immer wieder und wieder: Es muss gerechter zugehen, damit sich die Menschen wohl fühlen können. Jeder muss zu SEINEM Recht kommen können. Keiner darf unter Unrecht leiden müssen. Jeder Mensch hat seine Menschenrechte, die ihm nicht verwehrt werden dürfen. Also unterschreiben wir mal die Menschenrechts-Charta. Ohne Macht, sie durchzusetzen.
Und so leiden weiter Menschen unter Menschen, werden krank, sterben Menschen einen frühen Tod. Aus dem Bestreben nach immer mehr Gerechtigkeit lassen Menschen die Bürokratie aufwachsen: Irgendwer muss ja verwalten und entscheiden, auf dass es möglichst gerecht zugeht.
Menschen versuchen, irgendwo Frieden zu erzwingen, und gleich daneben bricht Gewalt von neuem los.
Menschen versuchen, mehr und mehr zu erkennen, zu begreifen und zu berechnen – aber alles Wissen bleibt ein Tropfen im Ozean dessen, was wir nicht wissen.
Und weil das alles so ist, ist man irgendwann so erschöpft, dass man wieder in den Urlaub muss. Kann das der Sinn unseres Lebens sein? Nein.
Also strengt man sich wieder an, um alles besser zu machen. Ein Gesetz nach dem anderen wird im Bundestag geschrieben, damit es irgendwie gerechter zugeht in unserem Land. Aber irgendwie steckt da der Teufel drin: Je mehr die dort denken und planen und beschließen, desto unzufriedener werden die Leute an den Stammtischen und auf den montäglichen Abendspaziergängen durch Dresden.
Kann Gott das so gewollt haben? Dass alles, ja: dass alles so ungerecht ist? Dass wir Wasser brauchen, um den Sekt überhaupt schätzen zu können?
Aber mal ganz ehrlich: Wenn irgendwer wüsste, wie die Welt besser funktionierte- er hätte seine Idee längst zum Patent angemeldet und wäre alle Sorgen los. Wer lange genug nachdenkt, muss der Erkenntnis Raum geben: Ein besseres Leben als das, das wir haben, gibt es nicht.
Wir haben das Größte, das wir uns vorstellen können, von Gott als Geschenk in die Wiege gelegt bekommen: Die Freiheit.
Und wir wissen eigentlich genau, dass Freiheit bedeutet, auch alles falsch machen zu können. Selbst wenn das die Hölle bedeutet. Es gibt nur ganz frei – kein bisschen frei. Es gibt ja auch kein bisschen schwanger.
Darum ist es mit diesem Leben wie mit einem hohen Turm aus aufeinandergelegten Streichhölzern. Jedes liegt auf dem anderen, alles hängt irgendwie mit allem zusammen.
Versucht man, irgendein Streichholz herauszuziehen um es woanders hinzustecken, fällt der ganze Turm in sich zusammen. Die Welt ist nicht nur kompliziert, sie ist UNENDLICH kompliziert. Die Freiheit, die Gott uns schenkt, ist nicht nur groß, sondern für viele Menschen ZU groß, um für sie zum Segen zu werden. Alle Einsicht und menschliche Wissenschaft bleiben Größenwahn, wenn sie versuchen, den Bauplan Gottes für diese Welt entschlüsseln zu wollen.
Uns bleibt nur, dem Unheil, das wir erkennen und erleben, immer neu entgegenzutreten und ihm Grenzen aufzuzeigen. Im ganz Großen, im ganz Kleinen. In der Gesellschaft, im eigenen Körper.
Genau das macht das Leben so anstrengend, und das Mindeste, was dabei passiert, ist, dass man immer neu urlaubsreif ist. Seinen ganz persönlichen Urlaub wird man immer brauchen- selbst im hohen Alter, selbst als Workaholic.
Das ist ja eigentlich ein trauriges Urlaubs-Fazit. Und es wäre ein trauriges Lebens-Fazit, weil es irgendwie doch sinnlos scheint, immer neu ins Hamsterrad des Alltags zu müssen, wenn man gerade erst wieder zur Kräften gekommen ist.
Es WÄRE- wenn Gott nicht wäre. Der aber hat etwas für uns, was uns weiterhelfen kann.
So ist gleich zu Beginn des zweiten Korintherbriefes, Kapitel 1 in den Versen 3-7 zu lesen:
3 Gepriesen sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus! Denn er ist ein Vater, der sich erbarmt, und ein Gott, der auf jede erdenkliche Weise tröstet und ermutigt.
4 In allen unseren Nöten kommt er uns mit Trost und Ermutigung zu Hilfe, und deshalb können wir dann auch anderen Mut machen, die sich ebenfalls in irgendeiner Not befinden: Wir geben ihnen den Trost und die Ermutigung weiter, die wir selbst von Gott bekommen.
5 Genauso nämlich, wie wir in ganz besonderem Maß an den Leiden von Christus teilhaben, erleben wir durch Christus auch Trost und Ermutigung in ganz besonderem Maß.
6 Wenn wir also Nöte durchmachen, geschieht das, damit ihr die mutmachende und rettende Kraft Gottes erlebt. Und wenn wir getröstet und ermutigt werden, bedeutet das auch für euch Trost und Ermutigung; es hilft euch, standhaft die gleichen Leiden zu ertragen wie wir.
7 Deshalb sind wir voll Hoffnung und Zuversicht, wenn wir an euch denken, denn wir wissen: Genauso, wie ihr an den Nöten teilhabt, habt ihr auch an dem Trost und der Ermutigung teil.
Wenn Wissen, Erkenntnis und Gerechtigkeit nach menschlichem Ermessen Stückwerk sind und bleiben werden, wenn das Leben nicht nur Glück, sondern auch Schmerz bringt, wenn Freiheit auch die Freiheit bedeutet, dass Menschen in die Hölle müssen: In aller Not des Lebens hält der Allmächtige „Trost und Ermutigung in ganz besonderem Maß“ für uns bereit. Gott sei Dank!
Paulus und Timotheus schreiben diesen Brief nach Korinth. Sie haben am eigenen Leib erlebt, wovon sie den Korinthern hier schreiben: Bei ihrer Reise durch die römischen Provinz Asien sind sie in akuter Gefahr gewesen und in buchstäblich letzter Sekunde ihrer Hinrichtung entkommen. Und dort, im Kerker, haben sie erfahren, dass Gott ihnen Mut machte und sie rettete. In ganz besonderem Maß: Nämlich genau so, wie sie es gerade brauchten.
Sie haben erfahren, dass ihre ganz persönliche Passion Teil des Leidens Gottes ist, das er durch das Kreuz Jesu am eigenen Leibe durchlitten hat. Paulus und Timotheus haben spätestens im Kerker begriffen, dass sie nie allein sind, sondern dass ihr Gott selbst durch die Hölle gegangen ist.
Und sie haben begriffen: Wenn Ihr Leid Teil des Leides Jesu ist, wird der österliche Sieg Jesu auch ihr Sieg sein. Gott hat die Macht, Tote zum Leben zu führen- er wird auch die beiden nie untergehen lassen.
Diese Erkenntnis ist für sie ein Wunder, dass sie weitersagen müssen: Aus dem furchtbaren Leiden und Sterben Jesu wächst für sie österlicher Trost und Mut. Aus ihrem Leiden wächst für die Korinther österlicher Trost und Mut. Das bedeutet auch für jeden von uns:
Genauso, wie wir an der Not Anteil haben, haben wir auch an Trost und Ermutigung teil, den Gott hat es Ostern werden lassen – für uns.
Meine Schwestern, meine Brüder:
Schon bei Jesaja war zu lesen: „es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der HERR, dein Erbarmer.“ (Jes 54, 10). Und nicht nur Paulus und Timotheus haben dieses Erbarmen am eigenen Leib erfahren. JEDE und JEDER, der sich auf Gott verlässt, erfährt es. Genau so, wie man es gerade nötig hat.
Menschliche Ratlosigkeit ist zu allen Zeiten der Welt groß. Auch heute. Flüchtlingsströme, die kein Ende zu nehmen scheinen. Bürgerkrieg auf Syriens Boden und Stellvertreterkrieg der Weltmächte in der Luft. Alltäglicher Terror in der Ukraine, in Afghanistan oder Nordkorea. Die immer weiter auseinander gehenden Schere zwischen Arm und Reich, die Ruhe- und Rastlosigkeit, die Unfähigkeit, Lebenszeit auszufüllen statt zu verbrauchen. Mücken, die zu Elefanten werden, die die Schädel unserer Säuglinge deformieren.
Auch der Mensch, der zum Macher geworden ist, kann Leid nicht „wegmachen“. Die Antwort auf die Frage, ob Gott gerecht sei, kann man mit viel Mühe bestenfalls rational beantworten. Emotional aber werden Ungerechtigkeit, Leid und Schmerz immer schwer zu ertragen bleiben.
Weil wir aber sehen können, dass Jesus Christus durch die Hölle gegangen ist, wissen wir, dass Gott neben uns steht und uns trägt – immer.
Weil wir sehen können, dass Gott die Macht hat, sogar Tote aufzuwecken, wissen wir, dass Ostern auch unsere Auferstehung bedeutet.
Wenn uns die Passionszeit eines zeigen kann, sollte es das sein: Was die Welt zuerst braucht, ist nicht Menschen-Gerechtigkeit, sondern sind Trost und Ermutigung Gottes. Und die sind uns sicher, denn sie wachsen aus der Passion Christi, die es Ostern werden lässt, alle Jahre wieder.
Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes werden uns Trost und Ermutigung an jedem Tag der Welt.
Das lasst uns weitersagen. Gepriesen sei Gott! AMEN