Sprache ist nicht gleich Sprache (1.Kor 14, 1ff)

Unterwegs sein
ein ganzes Leben
Neugier
man will sehen
gesehen werden

Aber wohin wenn man müde wird
wo Station machen
Ankommen
wohlfühlen
zuhause sein
Sehnsucht
nach leichtem Gepäck
nach Heimat

Und Christus spricht:
Kommt her zu mir alle,
die ihr mühselig und beladen seid;
ich will euch erquicken.
Matthäus 11,28
***
Der Predigttext steht heute ganz am Anfang. Ich lese aus Kapitel 14 des 1. Korintherbriefes. Paulus schreibt, ich lese aus der Lutherübersetzung:

Strebt nach der Liebe!
Bemüht euch um die Gaben des Geistes,
am meisten aber um die Gabe der prophetischen Rede!
Denn wer in Zungen redet, der redet nicht für Menschen,
sondern für Gott; denn niemand versteht ihn,
vielmehr redet er im Gebet von Geheimnissen.
Wer aber prophetisch redet, der redet
den Menschen zur Erbauung und zur Ermahnung
und zur Tröstung.
Wenn nun die ganze Gemeinde an einem Ort zusammenkäme und alle redeten in Zungen,
es kämen aber Unkundige oder Ungläubige hinein,
würden sie nicht sagen, ihr seid von Sinnen?
Wenn sie aber alle prophetisch redeten
und es käme ein Ungläubiger oder Unkundiger hinein,
der würde… überführt:
Was in seinem Herzen verborgen ist, würde offenbar,
und so würde er niederfallen auf sein Angesicht,
Gott anbeten und bekennen,
dass Gott wahrhaftig unter euch ist.

Ihr habt es sicher selbst mitbekommen: Es geht heute um Sprache im Allgemeinen. Und im Besonderen um das rechte Verhältnis zwischen prophetischer Rede, zu der sicher auch die Predigt gehören sollte, und der Zungenrede. Nicht irgendwo, sondern hier unter uns, im Gottesdienst, in den Versammlungen der Gemeinde.

Nur: Was bedeutet das Wort „Zungenrede“? Ein Wort, das unter uns nicht mehr gebräuchlich ist und darum zunächst einer Klärung bedarf.

Zunge – wem man sie herausstreckt, fühlt sich gekränkt. Das macht man nicht, lernt jedes Kind. Aber wisst Ihr eigentlich, warum das so ist, dass eine ausgestreckte Zunge einerseits 300 Euro wegen Beleidigung einbringen kann und andererseits einen süßen, innigen Kuss? (Ich habe dafür ganz ehrlich noch keine schlüssige Erklärung gehört; vielleicht habt Ihr ja eine, dann sagt mir die, aber bitte nachher, sonst verliere ich jetzt meinen Faden…)

Zunge: Ohne Zunge kann man gar nicht so sprechen, dass es für einen anderen Menschen verständlich wäre. „Zunge“ ist darum auch ein Synonym für eine einzelne Sprache. Französisch, Englisch, Spanisch, Deutsch: Sehr verschiedene Zungen, die den Franzosen, Engländern, Spaniern oder Deutschen die Verständigung miteinander bis hinein in den Wortwitz oder die tiefe Philosophie oder Theologie möglich machen.

Aber leider: Wenn man als Deutscher nur ein wenig französisch, englisch oder spanisch gelernt hat, versteht man auch nur wenig, und Wortwitz oder gar Theologie bleiben einem in deren Tiefe völlig verschlossen. Und wenn man die andere Zunge – Sprache – überhaupt nicht kennt, versteht man nur „Bahnhof“, wenn der andere redet.

Hier kommen wir der „Zungenrede“ des Paulus sehr nah. Sie ist Rede, bei der einer den anderen nicht verstehen kann, selbst wenn er sich noch so große Mühe gibt. Und das mitten in der Gemeinde, sogar im Gottesdienst, wo doch eine den anderen gut verstehen sollte. Warum sollten wir hierher kommen, wenn wir uns nicht verstehen würden?

Nur: Wenn die Zungenrede, wie Paulus hier schreibt, nur von Gott selbst verstanden wird, und von allen anderen im Raum nicht: Geht es da der „prophetischen Rede“, also den Liedern, Gebeten und Predigten, die hier auf deutsch gehalten werden, wirklich anders?

Mir ist da in einer Zeitschrift folgendes untergekommen, Zitat: „Bei der Behandlung des Themas „Gottesdienst“ im Religionsunterricht einer gymnasialen 8. Klasse in Köln waren die Schülerinnen und Schüler, die wegen ihres Konfirmandenunterrichtes, in den sie mehrheitlich gingen, in der letzten Zeit häufig in der Kirche waren, erstaunt darüber, dass jeder Predigt ein anderer Text zugrunde liegt und dass die Predigt vom Pfarrer selbst vorbereitet wird. Sie hatten angenommen, der Pfarrer verlese jeden Sonntag (wie auch an anderer Stelle des Gottesdienstes) dasselbe, zumal er stets dasselbe schwarze Ringbuch auf der Kanzel aufschlug.“ Zitat Ende.

Nun ja, ein Ringbuch benutze ich schon lange nicht mehr. Aber das hilft jetzt wenig, denn Fakt scheint zu sein: Das, was an den Sonntagen in den Kirchen gelesen, gesungen oder gepredigt wird, wird von vielen Menschen ganz offenbar kaum gehört und erst recht nicht verstanden. Obwohl alles in deutscher Sprache geschieht. Mancher langweilt sich in der Kirche geradezu.

Darum gibt es auch schon immer, zumindest so lange ich lebe,
die Diskussion darüber, wie man Gottesdienste anders gestalten sollte, damit sie mehr Menschen ansprechen. Es gibt sogar ein Buch, das heißt „Gottesdienst menschlich“ (als ob es „Gottesdienst unmenschlich“ gäbe).

Die unterschiedlichsten Wünsche werden immer wieder geäußert: Die einen möchten den Gottesdienst peppiger, begeisternder, mitreißend durch Musik und Aktionen haben. (Ach, die Amerikaner mit ihren Gospels, diesem Rhythmus – wenn wir den doch auch hätten…)

Andere möchten, dass der Gottesdienst alltagsbezogener sei und ganz konkrete und praktische Anweisung für das Leben im Alltag anbiete.

Wieder andere möchten, dass durch Meditatives und durch symbolische Handlungen mehr Raum für religiöses Fühlen und Erleben gegeben wird. Geht mal zu den Katholiken! Oder wenn ihr mal nach Indien kommt in einen Hindutempel! Da kann man Gott erleben, fühlen, wirklich hören!

Häufig bleibt es in diesen Diskussionen oder Gesprächen beim Äußern der eigenen Bedürfnisse oder der Kritik dessen, was den eigenen Bedürfnissen nicht entspricht. Aber es gibt auch Menschen und sogar welche ohne Talar, die andere Gottesdienste nicht nur fordern, sondern auch vorbereiten und feiern.

Vor ein paar Jahren versteigerte eine Vorbereitungsgruppe einen Gottesdienst bei E- Bay im Internet. Der Meistbietende hatte das Recht, das Thema zu bestimmen und dazu passende Lieder und Texte auszusuchen. Immerhin 287 € war es dem dann wert, einen Gottesdienst nach seinen Bedürfnissen erleben zu können. Thema wurde „Ist der Ehrliche der Dumme?“ – etwas, was im Kirchenjahr bestenfalls indirekt zur Sprache kommt.

Nur: Das man es selbst so nicht allen recht machen kann, dürfte jedem klar sein.

Und dem Glauben im Alltag geht es da nicht besser. Was Christen in der Öffentlichkeit über ihren Glauben sagen oder zumindest zu sagen versuchen, wird von vielen genauso wenig verstanden wie eine Fremdsprache, derer sie nicht mächtig sind. Darum schweigt mancher Christ inzwischen lieber ganz über das, was er glaubt. Wenn mich doch eh keiner versteht? Wenn meine prophetische Rede zur Zungenrede wird, weil ich es nicht besser kann?

Aber die Zungenrede, von der Paulus hier spricht, meint nun noch etwas anderes: Sie ist eine Rede, die selbst der nicht versteht, aus dessen Mund sie kommt. Rede, die aus der Ekstase kommt. Aus Euphorie, Entzücken, einem Moment des Rausches der Sinne.

Und selbst diese Art der Zungenrede ist unserer Zeit und unserem Land gar nicht so fremd wie es zunächst den Anschein hat. Auch wenn vielleicht keiner von uns so etwas schon mal selbst erlebt hat.

In den Pfingstkirchen zum Beispiel hat Zungenrede ihren festen Platz. Menschen, die sich in Gebet und Meditation Gott genähert haben, erleben dort, wie ihre Zunge und Stimme Laute und Melodien formen. Ohne dass sie selbst wissen, wie das geschieht.

Für Menschen, die dies an sich selbst erleben, ist das eine einzigartige, ja eine göttliche Erfahrung. Der Theologe Hollenweger lässt den Sklaven Quartus in einer Erzählpredigt sagen:

Immer nur Säcke für die Reichen herumschleppen, immer nur für die anderen da sein. Manchmal reicht’s mir. Im Gottesdienst tun wir mal etwas für uns. Da singen wir für uns, da reden wir in Zungen für uns …
… ihr denkt in Sätzen. Ihr denkt in Argumenten. Wir denken in Bildern und Visionen. Bei uns denkt der ganze Leib, nicht nur der Kopf. Darum, weil wir mit dem ganzen Leib denken, darum gehört für uns das Zungenreden zum Denken.

Darum lehnt Paulus solche Zungenrede nicht schlicht heraus einfach ab. Denn eine Form, die nicht meine Form ist, ist nicht automatisch eine falsche Form. Paulus wird dem Sklaven Quartus nicht die Kirchentür vor der Nase zuschlagen. Denn wie kann etwas falsch sein, was dem Quartus offensichtlich nützlich ist?

Außerdem haben wir doch vorhin gesehen: Selbst wenn man versucht, in deutlichen Worten zu Gott zu sprechen, ihm zu singen, zu ihm zu beten: Man gelangt schnell an die Grenzen seiner Rede. Ist und bleibt unverstanden.

Gott, der dreieine, der ewige, der unendliche: Das kann kein Wortschatz der Welt wirklich beschreiben. Da bleibt mir selbst meine eigene Mutter-Sprache einfach Antwort schuldig.

„Kein Zung kann je erreichen/ die ewig Schönheit groß;/ man kann’s mit nichts vergleichen,/ die Wort sind viel zu bloß./ Drum müssen wir solchs sparen/ bis an den Jüngsten Tag;/ dann wollen wir erfahren,/ was Gott ist und vermag.“
So vor über 450 Jahren Johann Walter, ich bin versucht zu sagen: So resigniert vor 450 Jahren Johann Walter. Nachzulesen in unserem Gesangbuch (148,2…)

Und doch muss man über seinen Glauben reden. So privat der Glaube auch ist. Was mich glücklich macht, soll doch auch meine Frau glücklich machen, meine Kinder, meine Enkel.

Also sagt Paulus: Redet wie die Propheten! Und auch Propheten hatten nicht nur geschützte Räume wie diese Kirche, nie immer festen Redeplatz wie eine Predigt im Gottesdienst. Sie müssen ihr Publikum dort ansprechen, wo es ist: Auf den Straßen und Feldern, in den Betrieben und Häusern, unter Kollegen und in Familien.

Sie haben oft auch kein abgeschlossenes Theologiestudium.
Und doch reden sie über ihren Glauben in ihren Familien, unter ihren Arbeitskollegen, vor den Mächtigen und Machern ebenso wie vor den Armen und Depressiven.

Mit so schönen Worten, wie wir sie vorhin hörten: Kommt her! Hier gibt es alles, was ihr zum Leben braucht! Ihr müsst nicht einmal dafür zahlen! Oder mit Worten, die stottern und stammeln, weil doch klar ist, das kein Wort so klar ist, dass es Gott beschreiben könnte. Und doch mit Worten, die den Versuch nicht scheuen, zu erbauen, zu ermahnen und zu trösten.

Meine Schwestern, meine Brüder:

Den Unterschied zwischen Zungenrede und prophetischer Rede erahnen jetzt hoffentlich alle hier – ich habe mich jetzt schließlich deutlich über 10 Rede-Minuten in deutscher Zunge abgemüht. Und die Grenzen und Möglichkeiten der Zungenrede, die Paulus beschreibt, ist nachzuvollziehen.

Die Grenzen der prophetischen Rede beschreibt Paulus hier zwar nicht. Aber widersprechen würde er kaum: Auch er hat immer wieder das gleiche in anderen Worten sagen müssen, weil er sich immer wieder nicht verstanden wusste. Das kann jeder sehen, der seine Briefe liest.

So wird zum Schluss deutlich, warum Paulus gleich zum Anfang schreibt: Strebt nach der Liebe!

Denn nicht nur im Fühlen und im Handeln, sondern auch im Singen, Beten und Predigen, in selbst in jedem Moment der Stille hier unter uns geht es um diesen ersten Satz:

Strebt nach der Liebe!

Das macht doch unser Glück aus: Dass wir die Liebe Gottes empfangen, dass diese Liebe uns selig, unser Leben glücklich macht.

Diese Liebe Gottes weiterzugeben, damit wir selig bleiben und andere glücklich werden: Das ist der Dienst der Kirche Gottes.
Nach der Sprache des Anderen so zu suchen, dass sie zu seiner Mutter-Sprache wird: In diesem Geist lebt und wirkt die Kirche seit Pfingsten.

Egal, ob in schönen Worten, in stammelnden Worten, in Zungenrede oder in der Tat der Diakonie:

Liebe findet die richtigen Worte, weil Gott für uns die richtigen Worte gefunden hat, findet. Und wo seine Liebe uns erreicht oder erreichen wird, da ist Kirche: Hier, bei Euch zuhause, überall wo ihr seid.

Die Liebe Gottes, die Gnade unsers Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sind die Sprache Gottes, die unsere Herzen und Sinne bewahrt. Lebenslang.
AMEN

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