Der Herr ist nahe
Sein Advent ist unsere Freude
ist uns Zuversicht
über die Zeit der Welt hinaus
schenkt Frieden
wie die Welt ihn nie sah
oder sehen wird
Freuet euch in dem Herrn allewege,
und abermals sage ich: Freuet euch!
Der Herr ist nahe!
sagt der vierte Sonntag im Advent.
Da es bei uns ja sehr selten um Personen, aber immer um die Sache geht, erzähle ich das Folgende ohne Namensnennung:
Ein Kandidat der Theologie wird beim zweiten Examen gefragt, was denn theologisch Wichtiges im Philipperbrief stände.
Seine Antwort kam prompt: „Freuet euch in dem Herrn allewege!“. Die Rückfrage des Professors kam genauso prompt: „Ja- und was noch?“ Und der Kandidat: „Und abermals sage ich: Freuet Euch!“…
Unabhängig davon, ob der Professor das als korrekte oder freche Antwort gewertet hat, weiter zur Sache: Wenn es auch nur sehr selten der Fall ist- an dieser Stelle aber liegt uns die altehrwürdige Lutherbibel, die auch uns Reformierten sofort im Ohr klingt, eher im Weg. Im Weg, wenn es ums Verstehen geht.
Allewege – jeder wird wissen, was das heißt. Aber was sagt uns dieses Wort (noch)? Hören wir „auf all unseren Wegen, schon immer und für immer“? Oder einfach nur „allewege“?
Auch in den Folgeversen unseres Wochenspruchs, die heute Predigtext sind, gibt es solche Worte. Luthers ursprüngliche „Lindigkeit“ war dichter an der Sache. Weil dieses Wort aber niemand mehr nutzt, wurde es in der 84er Lutherfassung durch das Wort „Güte“ übersetzt:
„Eure Güte lasst kund sein allen Menschen“ .
Ach du meine Güte.
Was ist das denn: Meine. Güte.? Unsere.Güte.?
Das macht diese bekannten Verse des Phipperbriefes zu einer Münze, die so abgegriffen ist, dass man die Prägung nur noch schlecht erkennen kann.
Aber das macht sie noch lange nicht wertlos. Es bleibt uns also nichts anderes übrig, als die Lupe in die Hand zu nehmen und genau hinzusehen, was alles noch zu erkennen ist.
Freut euch: Gründe zur Freude hätten wir. Uns Deutschen geht es gut. So gut wie vielleicht noch nie in der Geschichte.
Noch nie gab es eine so lange Zeit, in der es hier keinen Krieg gab. Seit 1945 – das sind jetzt über 70 Jahre. Selbst die Generation, die jetzt ins Rentenalter kommt, hat die Kriegsstrapazen nicht mehr am eigenen Leib erleben müssen, sondern kennt sie nur aus den Erzählungen ihrer Eltern.
Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass sich Soldaten der Bundeswehr über die halbe Welt verteilt in Einsätzen befinden: Im ehemaligen Jugoslawien (manch einer hat das längst vergessen), am Hindukusch, in Afrika, in der Luft über dem nahen Osten, auf dem Schiff im Mittelmeer,… Diese Tatsachen erreichen das Bewusstsein vieler Deutscher nicht tiefer als andere Schreckensnachrichten, die uns von allen Orten der Welt tagtäglich ins Haus flimmern. Wir – wir haben Frieden.
Wir leben in einer in der Geschichte nie da gewesenen Freiheit:
Konzentrationslager, Gestapo, Mauer, Staatssicherheit und kalter Krieg liegen hinter uns. Nie ist in die Überzeugungen jedes Einzelnen weniger hineinregiert worden als heute. Daran ändern auch Streitereien um den Religionsunterricht an den Schulen oder Kopftuchurteile nichts. Wir – wir leben in Freiheit.
Wir leben im Wohlstand. Die wirtschaftlichen Maßstäbe, die für uns im Osten noch vor 26 Jahren eine Selbstverständlichkeit waren, sind heute ins totale Vergessen gedrängt: Das Geld hat wirklichen Gegenwert; kaum etwas, was man nicht kaufen könnte; kaum jemand, der im Urlaub noch nicht in Gegenden war, die damals nur vom Hörensagen oder dem Fernsehen her kannte; und mit Sicherheit niemanden, der noch auf das Auto warten muss, das er 1989 bestellt hat. Oder das Telefon. Oder einen Computer.
Daran ändert auch nichts, dass Menschen aus falscher Einschätzung der Lage / am Sozialamt vorbei obdachlos auf der Straße landen können. Auch nicht, dass es jetzt so vieles gibt, was man durchaus gern hätte und sich einfach nicht leisten kann.
Wir – wir leben im Wohlstand.
Wohlstand, Freiheit, Frieden: Gründe zur Freude hätten wir. Was kann Weihnachten dem Leben noch mehr bringen? Was kann es ihm geben, was es nicht schon hätte? Welchen Grund zum Feiern wird es geben können: 2015 Jahre nach Christi Geburt?
Nun wüsste jeder Dinge aufzuzählen, die seinem Wohlstand fehlen, seiner Freiheit entgegenstehen, ihm den Frieden nehmen.
Menschen, die er gerade nicht sehen mag, weil sie ihn gekränkt oder ihm gar geschadet haben. Das ewige Gehetze während der Arbeit. Die vielen netten Nächsten, die hinter dem Rücken die unschlagbaren Wahrheiten verbreiten.
Der innere Schweinehund, der einem Tag für Tag schwanzwedelnd entgegenkommt und einen daran hindert, Dinge anzugehen, die wirklich dran wären.
Der Teufel, der einen manchmal reitet und einen Dinge tun lässt, die einem nachher mehr als Leid tun – oder aber im Detail steckt.
Die Maßstäbe, die man hat – und denen man selbst nur ungenügend gerecht wird.
Der Körper, der nicht so funktioniert, wie er soll.
Die Angst vor dem Altwerden, vor dem Sterben, vor dem Tod, der ewig dauern könnte…
Jeder weiß für sich, was ihm fehlt. Viele fühlen die Sehnsucht nach einem tiefem Frieden, auch einem inneren, der die Seele erreicht. Nicht nur nach einer Zeit, in der gerade länger kein Krieg ist. Frieden ist mehr, das spürt man an jedem Tag.
Das weiß auch die Bibel, daran lässt sie keinen Zweifel.
Wie hieß es vorhin aus dem Jesajabuch? „Was für eine Freude! Über die Berge kommt der Siegesbote herbeigeeilt! Er bringt gute Nachricht, er verkündet Frieden und Rettung…“
Frieden: Das Hebräische wählt das Wort „Schalom“. Schon die griechischen Übersetzer des Alten Testamentes haben versucht , es wiederzugeben und dazu 25 verschiedene Worte gebraucht.
Zunächst heißt der Stamm des hebräischen Wortes „vollkommen sein, unversehrt sein“. Das aber gilt auch künftig: „vollkommen, unversehrt leben“. Schalom bedeutet daher soviel wie „Wohlbefinden, äußeres / und geistliches Gedeihen“ – im Moment, morgen, immer.
Frieden ist auch im Neuen Testament ein zentrales Wort, auch in unserem heutigen Predigttext.
Jeder von uns kennt ihn, der Friedens- Vers aus Philipper 4 ist nicht weniger bekannt als der Wochenspruch: „Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.“
Nicht einfachen Frieden. Gottes Frieden! Größer, als wir alle zusammen denken können! Der Herzen bewahrt – die Seele, die Liebe, das ganze Lebendigsein. Der alle Sinne bewahrt – das Riechen, Schmecken, Hören, alles Erleben, alles Gefühl, alles Denken.
Frieden- der vollkommene Zustand der Bewahrung des ganzen Menschen. Der Moment, an dem jeder Unfriede Vergangenheit ist, unwiderruflich und für immer. Das wäre wirklich Grund größter Freude, für jeden von uns.
Kann man den finden? Kann man den heute leben? Aus ihm sein?
Noch mal die Lupe in die Hand, Ich lese jetzt aus dem Predigttext die Verse 4-6 in der Übertragung der Neuen Genfer Übersetzung:
4 Freut euch, was auch immer geschieht; freut euch darüber, dass ihr mit dem Herrn verbunden seid! Und noch einmal sage ich: Freut euch!
5 Seid freundlich im Umgang mit allen Menschen; ´ihr wisst ja, dass` das Kommen des Herrn nahe bevorsteht.
6 Macht euch um nichts Sorgen! Wendet euch vielmehr in jeder Lage mit Bitten und Flehen und voll Dankbarkeit an Gott und bringt eure Anliegen vor ihn.
Vielleicht hört es sich noch leichter, wenn ich die Ursache aus der Mitte des Textes allem voran stelle:
„Ihr wisst ja, dass der Herren nahe ist. Darum freut euch, was auch geschieht, gebt im Umgang mit anderen Freundlichkeit weiter. Macht euch keine Sorgen, sondern legt alles, was Euch bedrückt, voll Dankbarkeit unserem Herrn ans Herz.“
Der Grund aller Freude steht nahezu versteckt mitten im Text, die Ursache zwischen ihren Wirkungen: Der Herr ist nahe! Darum.
Der Herr ist nahe. Darum:
Advent.
Die Rede vom nahen Herrn ist oft wörtlich-zeitlich genommen worden. Selbst heute noch versuchen Menschen, anhand der Bibel zu belegen, wann der Tag des Herrn und damit das Ende dieser Welt kommt. Damals wie heute werden Menschen bitter enttäuscht, weil sie sich mathematisch-zeitlich verrechnen und vergebens warten.
Als ob es je einen präzisen Welt-Fahrplan gegeben hätte. Als ob sich die überwältigenden Erfahrungen nach Ostern und Pfingsten jemals in Raum und Zeit hätten einordnen lassen.
Natürlich haben weder Paulus noch die ersten Christen nicht mit langen Zeiträumen gerechnet. Doch gilt, was bereits der reformierte Theologe Karl Barth feststellte: „ Nicht die Naherwartung (begründete) die christliche Hoffnung …, sondern umgekehrt /die Hoffnung auf den kommenden Sieg Christi (führte) zur Naherwartung.“
„Der Herr ist nahe“ heißt für Paulus also zuerst: Der Tod hat seinen Stachel und die Hölle ihren Sieg verloren. Denn der da kommen soll, ist schon längst da, er ist IN WORT UND GEIST NAHE. Das sprengt die Dimensionen Zeit oder Raum. Auch das: Höher als alle „Vernunft“.
Ein Leben ohne Sorge, in Freude, Freundlichkeit und Dankbarkeit: Das ist eine unmittelbare Folge des Advents. Weil der Herr uns nahe ist, weil er gekommen ist und kommen wird, weil kein Tag unseres Lebens ohne ihn ist, leben wir aus der Erlösung von Sorge, Undankbarkeit oder Teilnahmslosigkeit.
Nietzsche hat einmal gemeint, dass man den Christen ihre Erlösung besser ansehen müsste, dass sie also erlöster aussehen müssen.
Paulus aber würde dem widersprechen. Es geht hier nicht um sichtbare, erst recht nicht um aufgesetzte Freude. Wer könnte dadurch schon überzeugen, dass er immer nur lächelnd durchs Leben ginge. Das will, das kann niemand ernsthaft wollen oder gar verlangen.
Aber wir könnten erlöster handeln. Wir könnten großherziger und großzügiger sein. Jeder weiß aus eigener Erfahrung, wieviel schwerer, aber auch wieviel eindrucksvoller das ist. Und genau hier kommt die Dankbarkeit ins Spiel, von der Paulus schreibt.
Bei Dietrich Bonhoeffer ist dazu zu lesen: „Dem Dankbaren wird alles zum Geschenk, weil er weiß, dass es für ihn überhaupt kein verdientes Gut gibt. Er unterscheidet darum nicht zwischen Erworbenem und Empfangenem, Verdientem und Unverdientem,
weil auch das Erworbene Empfangenes, das Verdiente Unverdientes ist. In der Dankbarkeit kehrt jede Gabe verwandelt in ein Dankopfer zu Gott zurück, von dem sie kam.“
Dankbarkeit, Großzügigkeit und Freude gehören zusammen. Sie leben aus dem Advent unseres Herrn.
Meine Schwestern, meine Brüder,
es ist Advent: der Herr ist euch nahe!
Lebt weiter ohne Sorge, denn er sorgt für euch.
Alles, was ihr zum Leben braucht, wird sein Geschenk an euch sein – und er hat noch viel mehr als das zu geben.
Dankbarkeit und Freundlichkeit werden von euch ausgehen.
Eure Freude an Gott wird spürbar und sichtbar werden.
Weihnachten wird zu einem Fest, auf dass alle Welt sehen wird.
Die Welt wird spüren: Der Herr ist nahe!
Das macht wirklich frei, wirklich reich, wie neu geboren.
So schließt Paulus:
7 Dann wird der Frieden Gottes, der weit über alles Verstehen hinausreicht, über euren Gedanken wachen und euch in eurem Innersten bewahren – euch, die ihr mit Jesus Christus verbunden seid.
Dem ist nichts hinzuzufügen, Amen.
Ich suche ihn immer, den Frieden der höher ist als alle Vernunft.
Nicht immer sind meine Gedanken bewacht, und mein Innerstes fühlt sich mitunter
nicht bewahrt an. Aber manchmal kommt es vor, dass mich total bewahrt fühle.
Damit ein solcher Zustand beständiger wird, müsste man es schaffen, sich selbst nicht so wichtig zu nehmen, demütiger zu werden und das Danken nicht zu vergessen. Simmts?
Einen wuderbaren Advent wünscht die Petra
Liebe Petra, da hast Du sicher Recht: Demut und Dankbarkeit bringen einem Gottes Frieden näher. Andererseits: Bei Luther habe ich mal irgendwo sinngemäß gelesen (leider fällt mir nicht ein wo), dass der Friede Gottes nicht bewirkt, dass man Dich auf dieser Welt in Frieden lassen würde. Und ich glaube, dass Luther sich da nicht irrt. So ist der Friede Gottes Teil des Ewigen Lebens – und der Advent erinnert mich, wie nah mir das ist. Dir auch.
Herzlich, Malte