Himmel oder Hölle?

Von dort wird er kommen
zu richten
die Lebenden und die Toten
was wird sein
Recht oder Gerechtigkeit
wer werde ich sein
frei oder verurteilt
wüsste ich es selbst
wenn ich versuchte
ehrlich zu sein
vor dem Richter
vor mir
nach einem Leben voller Unrecht
in einer Welt voller Unrecht
der einzige Trost
Wir müssen alle offenbar werden
vor dem Richterstuhl Christi.
2 Korinther 5,10
***
Unterschlagung ist nichts, was man tolerieren sollte. Und der vorletzte Sonntag des Kirchenjahres scheint schon lange von Unterschlagung schwer gezeichnet.  Da geht es vor allem um das Sonntagsthema.

Im vergangenen Jahr gab es an dieser Stelle bei uns einen Gottesdienst in der Friedensdekade. Schließlich liegt dieser Sonntag ja mitten in derselben. In Gemeinden unserer weiteren Umgebung  gab es auch noch anderes: Ein Gottesdienst zum Buß- und Bettag, weil ja mittwochs vormittags keiner könne und abends nur wenige wollten. Oder es gab einen Gottesdienst zum Volkstrauertag. Schließlich fällt dieser staatliche Feiertag ja immer auf diesen Sonntag. Und nicht wenige freuen sich über diese Unterschlagung: Lieber bitte so- denn all das scheint besser als die Beschäftigung mit dem Jüngsten Gericht.

Heute aber gibt es kein Vorbei. Darum jetzt das Tagesevangelium, dass ich ohne Kürzung als Predigttext lese. (Meine Bitte an die Zeitstopper, die Predigttextverlesung von meiner Predigtdauer abzuziehen, danke.)
Das Evangelium nach Matthäus, Kapitel 25, Verse 31-46 in der Neuen Genfer Übersetzung:

31 »Wenn der Menschensohn in seiner Herrlichkeit kommen wird und mit ihm alle Engel, dann wird er in königlichem Glanz auf seinem Thron Platz nehmen.
32 Alle Völker werden vor ihm versammelt werden, und er wird die Menschen in zwei Gruppen teilen, so wie der Hirte die Schafe und die Ziegen voneinander trennt.
33 Die Schafe wird er rechts von sich aufstellen und die Ziegen links.
34 Dann wird der König zu denen auf der rechten Seite sagen: ›Kommt her, ihr seid von meinem Vater gesegnet! Nehmt das Reich in Besitz, das seit der Erschaffung der Welt für euch vorbereitet ist.
35 Denn ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig, und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war ein Fremder, und ihr habt mich aufgenommen;
36 ich hatte nichts anzuziehen, und ihr habt mir Kleidung gegeben; ich war krank, und ihr habt euch um mich gekümmert; ich war im Gefängnis, und ihr habt mich besucht.‹
37 Dann werden ihn die Gerechten fragen: ›Herr, wann haben wir dich denn hungrig gesehen und dir zu essen gegeben, oder durstig und dir zu trinken gegeben?
38 Wann haben wir dich als Fremden bei uns gesehen und haben dich aufgenommen? Oder wann haben wir dich gesehen, als du nichts anzuziehen hattest, und haben dir Kleidung gegeben?
39 Wann haben wir dich krank gesehen oder im Gefängnis und haben dich besucht?‹
40 Darauf wird der König ihnen antworten: ›Ich sage euch: Was immer ihr für einen meiner Brüder getan habt – und wäre er noch so gering geachtet gewesen -, das habt ihr für mich getan.‹
41 Dann wird er zu denen auf der linken Seite sagen: ›Geht weg von mir, ihr seid verflucht! Geht in das ewige Feuer, das für den Teufel und seine Engel vorbereitet ist!
42 Denn ich war hungrig, und ihr habt mir nicht zu essen gegeben; ich war durstig, und ihr habt mir nicht zu trinken gegeben;
43 ich war ein Fremder, und ihr habt mich nicht aufgenommen; ich hatte nichts anzuziehen, und ihr habt mir keine Kleidung gegeben; ich war krank und war im Gefängnis, und ihr habt euch nicht um mich gekümmert.‹
44 Dann werden auch sie fragen: ›Herr, wann haben wir dich denn hungrig oder durstig gesehen oder als Fremden oder ohne Kleidung oder krank oder im Gefängnis und haben dir nicht geholfen?‹
45 Darauf wird er ihnen antworten: ›Ich sage euch: Was immer ihr an einem meiner Brüder zu tun versäumt habt – und wäre er noch so gering geachtet gewesen -, das habt ihr mir gegenüber versäumt.‹
46 So werden sie an ´den Ort` der ewigen Strafe gehen, die Gerechten aber werden ins ewige Leben eingehen.«

So könnte er also aussehen, der Tag des großen Gerichtes aller Menschen, die jemals lebten oder leben werden. Das Bild vom guten Hirten wird ausgetauscht durch den, der die Schafe von den Ziegen scheidet. Das machten ordentliche Hirten in Palästina so, weil die Ziegen anders als die Schafe die Kälte nicht so gut ertrugen und besser nicht im Freien übernachten sollten.
Aber hier scheinen sie gleich ins ganz Warme zu müssen.

Wird euch langsam die Hölle heiß? Mir ist es jedesmal ziemlich unbehaglich, wenn ich das lese. Es könnte ja sein, dass ich da auch hinmuss. Vielleicht sogar schneller, als es mir lieb ist. Bin ich dann Schaf oder Ziegenbock?

Dieser Text hat im Matthäusevangelium einen besonderen Platz: Es ist die letzte Predigt Jesu vor dem Passahmahl, dem seine Verhaftung und Hinrichtung folgen. Sie ist sein Schlusswort an seine Jünger.

Damit ist sie schon mal eines nicht: Eine Drohung an die anderen. Matthäus lässt Jesus an dieser Stelle lange zu seinen Jüngern reden, und in dieser Rede geht es um die wirklich letzten Dinge, und der Schluss dieser Predigt ist eben dieses Wort-Gemälde vom letzten Gericht.

Seine Jünger haben eine aufwühlende Lebens-Zeit mit Jesus erlebt: Sie waren dabei, wie er selbstzufriedene Zeitgenossen zur Umkehr mahnte. Wie er Krüppel heilte, Verrückten Frieden und Toten neues Leben schenkte.

Sie bekamen Worte zu hören, die ihr Leben mit Richtung und Ziel ausstatten sollten. Visionen lernten sie kennen über das Reich der Himmel, indem nichts mehr so sein sollte wie es ist, aber alles so werden würde, wie Gott es gedacht hat.

Und jetzt werden sie erleben müssen, wie das Leben ihres Herrn, der ihr Leben vom Kopf auf die Füße stellte, am Kreuz endet: Im himmelschreienden Unrecht dieser Welt, dem kein Recht dieser Welt etwas entgegenzusetzen vermag- so lange es eben Menschen sind, die Recht sprechen.

Was diese Predigt also ganz bestimmt auch nicht ist: Eine Bedienungsanleitung für den Jüngsten Tag. Denn wer Jesus SO hören wollte, wird schnell merken, dass Jesus von der Quadratur des Kreises spricht. Sagt Jesus doch zu den hier so genannten Gerechten:  ›Ich sage euch: Was immer ihr für einen meiner Brüder getan habt – und wäre er noch so gering geachtet gewesen -, das habt ihr für mich getan.‹

Und zu den hier so genannten Ungerechten: Was immer ihr an einem meiner Brüder zu tun versäumt habt – und wäre er noch so gering geachtet gewesen -, das habt ihr mir gegenüber versäumt.‹

Lobt er nicht die Gerechten dafür, dass sie wenigstens EINEM geholfen haben? Wird nicht den Ungerechten vorgeworfen, dass sie auch NUR EINEN EINZIGEN vergessen haben? Der eine hilft einem – und ist gerettet, der andere vergisst auch nur einen – und schmort in der Hölle. Soll DAS die Gerechtigkeit sein, auf die so viele Menschen ihr ganzes Leben lang warten? Eine ganz offensichtliche neue, wenn auch letzte Ungerechtigkeit? Wohl kaum.

Worum aber geht es Jesus dann? Dass wir Gastfreundschaft in unserem Leben großschreiben? Essen und Trinken teilen mit denen, die es nötig haben? Wie der Heilige Martin unseren Mantel teilen? Will Jesus, dass wir Kranke im Krankenhaus besuchen und in unseren Besuchsplänen sogar Mörder nicht vergessen, die mit Fug und Recht im Gefängnis sitzen? Und dabei niemanden vergessen oder Beiseite schieben? Dürften wir dann jemals ohne schlechtes Gewissen am Abend eines Tages schlafen gehen? Auch darum kann es also nicht in erster Linie gehen.

Wer sich die Szenerie vorstellt, sieht eine Riesenmenge von Menschen, die sich in einem völlig gleichen: In fassungsloser Überraschung. Jeder Einzelne, egal ob Gerechter oder Ungerechter, stellt eigentlich nur eines fest:

Was? Ich soll Dir, König Jesus, begegnet sein?
Ich kann mich an nichts erinnern! An gar nichts! Wann soll das denn gewesen sein? Welten voller Alzheimer?

Indem Jesus diese Szene geradezu vorspielt, wird deutlich: Das hier ist EIN Bild für das, was kommt. Es wird kommen, aber völlig anders, als man sich das vorstellen kann. Es wird völlig überraschend kommen.

Jeder wird nach seinem Tun und Lassen gefragt werden. Jeder wird Dinge in seinem Leben entdecken, die er lieber übersehen wollte oder wahrhaftig völlig übersehen hat. Niemand wird sich angesichts diese Szenerie auf der sicheren Seite fühlen können.

Und jeder wird endlich begreifen: Ich kann nicht einmal FÜR MICH SELBST die Hand ins Feuer legen. Heute nicht, morgen nicht, am letzten Tag nicht. Weil nur Gott selbst in mein Herz schauen kann. Er weiß das, was ich selbst nicht weiß:

Warum bin ich an die Klingel gegangen und habe dem Bettelnden unten 5 Euro gegeben? Weil er mir Leid tut? Weil ich ihn loswerden wollte? Weil ich mir selbst gefallen bin? Weil ich ein Gerechter bin? Was wird gelten vor dem Richterstuhl Christi? Jeder, wirklich jeder kann nur hoffen, dass er seine Hand nicht ins Feuer legen muss. Nicht einmal für sich selbst.

Meine Schwestern, meine Brüder:

Diese Worte aus dem Matthäusevangelium sollen uns vom Richterstuhl vertreiben, auf den wir in unserem Leben immer wieder setzten oder vor den wir immer wieder gezerrt werden. Egal ob offen vor allen Leuten oder, meist noch viel schlimmer, hinter dem Rücken. Jesu machen unmissverständlich deutlich:
Nicht wir haben zu urteilen. Heute nicht, morgen nicht. Denn wer sich seiner selbst nie sicher sein kann, kann über andere kein Urteil fällen.

WAS aber kann uns dann retten? Retten vor dem ewigen „Feuer, das für den Teufel und seine Engel vorbereitet ist“? WAS kann uns bewahren vor dem Ort der „ewigen Strafe“? WAS kann uns davor bewahren, dass wir am letzten Ende NICHT zu denen gehören, zu denen wir doch gehören wollen? Zu denen, denen der letzte Richter sagt: ›Kommt her, ihr seid von meinem Vater gesegnet! Nehmt das Reich in Besitz, das seit der Erschaffung der Welt für euch vorbereitet ist“?

Was, was, was? Falsche Fragen. Zumindest, wenn wir im Bild Jesu bleiben, dass Matthäus uns hier malt. Dieses Bild nämlich gibt uns nur auf eine Frage klare Antwort: WER kann uns retten?

Nur der Richter selbst, antwortet der Text. Und den kennen wir. Jesus Christus selbst wird über das urteilen, was mit unserem Leben war, ist und sein wird.

DASS er Gericht halten wird und dieses Gericht nicht bloß ein gutes Ende für alle haben wird, BLEIBT unangenehm für unser Denken. Die Rede vom „ewigen Feuer“ und einer „ewigen Strafe“ muten uns den Gedanken zu, dass es neben dem Himmel auch einen Ort der Gottesferne gibt, der gar selbstverschuldet ist.

Aber das ER Gericht halten wird, ist nicht nur ein schwacher Trost. Es ist der einzige Trost im Leben und in Sterben. Denn auf dieser Welt gibt es keine Gerechtigkeit. Jesus ist darum der einzige, dem wir unser Schicksal getrost in die Hände legen können.  Denn ER ist es, der für uns seine Hand ins Feuer legt. ER ist es, der jede unserer offenen Rechnungen am Kreuz zahlt. Er LIEBT. Dich und mich. Und Liebe ist darum das einzige Maß, an dem einmal Gerechtigkeit gemessen werden wird.

Ist es dann nicht egal, was wir tun und lassen? Ganz im Gegenteil. Denn unser Glaube an Gott ist nicht zu trennen vom Glauben an den großen Tag vor dem Thron Christi, wo wir überrascht sein werden von Dingen, die wir vergessen haben, und wo uns nicht helfen kann, was wir  nicht vergessen haben.

Oder wie wir vorhin aus dem Heidelberger Katechismus gehört haben: Macht aber (die) Lehre (von der Vergebung der Sünden) die Menschen nicht leichtfertig und gewissenlos? (Frage 64)
Nein; denn es ist UNMÖGLICH,
dass Menschen, die Christus
durch wahren Glauben eingepflanzt sind,
NICHT Frucht der Dankbarkeit bringen.

Das ist das einzige, das hilft: TREUE.  Treue zu unserem Herrn, der uns die Treue hält, wo immer wir sind und wann immer wir nach ihm fragen. Treue zur Liebe Gottes. Und so gesehen sind wir auch bei den anderen großen Fragen dieses Sonntages.

Die Friedensdekade hält in uns die Erkenntnis wach, dass der Weg des Friedens der Weg der TREUE zur Liebe Gottes ist und dass es ohne diese Treue bestenfalls einen Waffenstillstand gibt. Gott aber will Frieden für uns.

Den Volkstrauertag begehen wir in der Überzeugung: Nur die TREUE zur Liebe Gottes lässt uns nicht in der Trauer darüber versinken, dass die Opfer der Kriege und Gewaltherrschaften von uns selbstgemacht und von uns unverhindert sind. Gott will, dass wir wissen, wer unser Richter sein wird.

Den Buß- und Bettag werden wir uns nicht nehmen lassen aus der Überzeugung: Die TREUE zur Liebe Gottes fordert nicht nur unsere Dankbarkeit, sondern unser Handeln. Und das fängt mit einem möglichst ehrlichen Blick auf uns selbst an. Denn Gott weiß: Liebe ist alles, und ohne Liebe ist alles nichts.

Wer Gottes Liebe verpasst, wird nicht  erkennen, was Friede ist; der wird jeden Moment der Umkehr verpassen, für den wird der Tod das Ende sein. Das ist das Gericht Gottes.

Die Liebe Gottes aber,
die uns die Gnade Jesu Christi
und die Kraft des Heiligen Geistes schenkt,
wird uns das Reich führen,
das Gott vom Anbeginn der Welt für uns erschaffen hat.
Amen.

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