Warum lebe ich?
Wozu bin ich?
Was soll Ziel meines Lebens sein?
Wie gelange ich dorthin?
Du bist getauft:
Du gehörst jetzt schon
IHM,
dem Herrn aller Zeit
und Schöpfer aller Welt.
So spricht der Herr, der dich geschaffen hat:
Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst;
ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!
Jesaja 43,1
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Um es gleich vorwegzunehmen: Der Name des Doktors ist frei erfunden, der Titel und die Geschichte aber nicht.
Am Katharinenkirchplatz 3 klingelt es in der Mittagszeit an der Tür. Mein Vater, dessen Name am Klingelschild stand, war nicht Zuhause. Meine Frau geht an die Tür und öffnet. Vor ihr steht ein älterer Herr und fragt, ob der Superintendent denn zu sprechen wäre. Nein, der sei unterwegs und käme erst spät zurück. Ja, das wäre schade. Aber er möge doch einmal die Papiere für die Veranstaltung am kommenden Mittwoch um 10 Uhr im Gemeindehaus herauslegen; er wolle sich schon einmal einlesen. Er käme morgen Vormittag noch einmal, da sei ja das Büro besetzt und würde sich die Unterlagen dann abholen.
Ach ja, und bestellen sie ihm doch schöne Grüße von mir. Als meine Frau fragt, von wem sie denn grüßen solle, stockt ihrem Gegenüber der Atem: Ja… wissen Sie denn nicht, wer ich bin? Ich bin doch der Herr Doktor Betermann!
Wir haben oft über diese Lehrstunde gelacht. Eine Lehrstunde, zwar nicht zum Thema Höflichkeit, wohl aber zum Thema übertriebenes Selbstbewusstsein. Was, sie öffnen die Tür dieses Hauses von innen und wissen nicht, wer ich bin? Ja also gibt’s denn das, was ist aus dieser Welt nur geworden…
Gesundes Selbstbewusstsein hat ja durchaus das für sich: Eben dass es gesund ist. So wie die auf der Fußball-EM frech und frei aufspielende Mannschaft aus Wales, die am Freitag Abend die Titel-ambitionierten Belgier nach Hause geschickt hat. Respekt vor den Belgiern mögen sie nach deren 0:1 gehabt haben, Angst aber keine: Am Ende hieß es 3:1 für die Waliser. Vielleicht litten die Belgier ja ähnlich wie Herr Doktor Betermann: Ja, wissen die denn nicht, wer wir sind?
Der amerikanische Präsiden Lincoln lehnte es einmal ab, einen Mann einzustellen. Er erklärte: „Ich mag den Gesichtsausdruck dieses Mannes nicht.“ Ein Mitarbeiter erwiderte: „Aber Herr Präsident. Der Mann kann doch nichts dafür, wie er aussieht.“ „Doch, er kann“, sagte Lincoln. „Die Gedanken eines Menschen und sein Verhalten formen seine Augen und sein Gesicht.“
Vielleicht war Lincoln ja ungerecht. Aber er hatte in einem letztendlich recht: Das Bild, das wir von uns selbst haben, entscheidet wesentlich mit darüber, ob wir glücklich oder unglücklich werden. Und das sieht man uns oft auch an.
Wer sich selbst ablehnt oder auch nur gering schätzt, wer also ein nur geringes Selbstwertgefühl hat, fügt sich selbst schweren Schaden zu. Die Liste der seelischen Probleme, die das mit sich bringt, ist lang: Selbst-Aggressionen und Wut, Eifersucht und Neid, Angst und Hemmungen, Zwangsgedanken und Zwangshandlungen bis hin zu schweren Depressionen.
Ob man feige ist wie ein Hase oder mutig wie ein Löwe hängt wesentlich von der Einstellung ab, die man zu sich selbst hat. Und Menschen, die sich nicht mögen, haben ständig etwas an sich auszusetzen und zu kritisieren. Halten sich für zu dick, zu dünn, haben eine hässliche Nase, einen zu großen oder zu kleinen Busen. Sie finden immer jemanden, den sie für intelligenter, attraktiver und besser halten.
Das kann nicht gut gehen und geht nicht gut, wenn man nichts dagegen unternimmt. Schon die Bibel weiß das: Wer andere lieben will, muss sich selbst lieben können.
Käme jetzt aber einer mit der Frage: WAS bist Du? Christ? Was hast du denn DAVON!?
Wer würde fünf Zentimeter wachsen und sagen: Was ich davon habe? Ich bin natürlich getauft!?
Paulus meint, wir hätten guten Grund, voller gesundem Selbstbewusstsein genau das zu sagen. Im 6. Kapitel des Römerbriefes schreibt er das in Vers 3 und bleibt eine Begründung in den folgenden Versen nicht schuldig:
3 … wisst ihr nicht, WAS ES HEISST, auf Jesus Christus getauft zu sein? Wisst ihr nicht, dass wir alle durch diese Taufe mit EINBEZOGEN worden sind in SEINEN TOD?
4 Durch die Taufe sind wir mit Christus gestorben und sind daher auch mit ihm begraben worden.
Weil nun aber Christus durch die unvergleichlich herrliche Macht des Vaters von den Toten auferstanden ist, ist auch UNSER Leben neu geworden, und das bedeutet: Wir sollen JETZT ein NEUES Leben führen. 5 Denn wenn sein Tod gewissermaßen unser Tod geworden ist und wir auf diese Weise mit ihm eins geworden sind, dann werden wir auch im Hinblick auf seine Auferstehung mit ihm eins sein.
6 Was wir verstehen müssen, ist dies: Der Mensch, der wir waren, als wir noch ohne Christus lebten, ist mit ihm gekreuzigt worden, damit unser sündiges Wesen unwirksam gemacht wird und wir nicht länger der Sünde dienen. 7 Denn wer gestorben ist, ist vom Herrschaftsanspruch der Sünde befreit. 8 Und da wir mit Christus gestorben sind, vertrauen wir darauf, dass wir auch mit ihm leben werden.
9 Wir wissen ja, dass Christus, nachdem er von den Toten auferstanden ist, nicht mehr sterben wird; der Tod hat keine Macht mehr über ihn. 10 Denn sein Sterben war ein Sterben für die Sünde, ´ein Opfer,` das einmal geschehen ist und für immer gilt; sein Leben aber ist ein Leben für Gott.
11 Dasselbe gilt darum auch für euch: Geht von der Tatsache aus, dass ihr für die Sünde tot seid, aber in Jesus Christus für Gott lebt.
Wisst ihr denn nicht, wer ihr seid? Wisst ihr nicht, was es heißt, getauft zu sein? DAS bedeutet eure Taufe:
Ihr habt Euer erstes Begräbnis schon hinter euch! Euer altes Leben ist mit Christus am Kreuz gestorben und begraben. Und so, wie Christus aus dem Grab auferweckt worden ist und völlig neues Leben durch den Vater geschenkt bekommen hat, so ist auch euer Leben: Von Gott geschenkt und völlig neu. Und dieses neue Leben will gelebt sein!
Damit hat Gott eine große Last von euren Schultern genommen. Er hat euch eine völlig neue Lebensform geschenkt. Denn das Thema „Angst vor der Sünde“ ist damit ein für alle Mal vom Tisch. Ihr müsst nicht länger unter der Herrschaft der Sünde leben. Selbst wenn eure Schuld euch lebenslang ins Gefängnis bringen würde: Mit dem Tag eures Todes spielt das alles keine Rolle mehr. Nie mehr wird die Sünde also Macht über euch bekommen.
Denn weil Christus sündlos ans Kreuz geschlagen wurde, hat Gott mit dem Tod seines Sohnes das größte Opfer selbst gebracht. Er hat selbst für alle Schuld gezahlt, die ihr je haben könnt.
Jetzt könnt ihr bei eurem eigenen Beerdigungskaffee sitzen und auf das alte Leben zurückblicken und sagen: Es ist vorbei! Und dann könnt ihr aufstehen, weil Christus aufgestanden ist, und ein freies Leben führen: Die Sünde hat ihre Macht über euch verloren. Auch eure zweite Beerdigung, die noch aussteht, wird daran nichts ändern: Euer Leben ist Leben für Gott.
Das bedeutet Eure Taufe!
Vielleicht hat das die Gemeinde in Rom beeindruckt. Aber kann die Argumentation des Paulus heute noch überzeugen? „Herr Pfarrer, so viel Sünde, dass wir öfter als zwei Mal im Jahr zum Abendmahl gehen müssten, haben wir nun auch nicht!“ So eine damals über siebzigjährige Frau in meiner ersten Gemeinde, 25 Jahre ist das schon her.
Spricht sie nicht den meisten Menschen auch heute aus dem Herzen? Ist „Sünde“ nicht etwas, was die Kirchen erfunden haben, um in den Menschen das schlechte Gewissen wach zu halten? Oder es in ihnen gar erst zu wecken? Ist „Sünde“ nicht längst machtlos, weil die „Hölle“ machtlos ist? Man macht doch heute Witze darüber, die Katholiken hätten sie erfunden, weil die sie brauchen würden, die Hölle. Wer aber glaubt heute noch wirklich, dass es sie gibt? Ja, in der Wüste ohne Wasser, oder damals in Auschwitz, aber für alle und jeden, für mich?
Der Zufall will es wohl, dass wir uns in verschiedenen Gemeindegruppen der letzten Zeit intensiver über das Thema Gedanken gemacht haben. Für das, was wir als „Sünde“ bezeichnen, steht im ersten Teil unserer Bibel vor allem das hebräische „ChaTaAh“ und im Neuen Testament das Wort „Hamartia“ – beide bedeuten wörtlich „das Ziel verfehlen“, auf unser Leben übertragen „verfehltes Leben“.
Und das ist etwas wesentlich anderes als zu viel Sahne auf den Kuchen zu geben oder fremd zu gehen oder bei frischem Rot noch über die Ampel zu fahren. Es ist auch etwas anderes als die viel süßeren Kirschen von Nachbars Baum zu stehlen. Es bedeutet, dass man das selbst gewählte Ziel seines Lebens nicht erreicht.
Das ist so, als will jemand eine große Familie mit vielen eigenen Kindern haben – aber Zeit Lebens nicht den richtigen Partner dafür findet. Oder dass eine denkt, im eigenen Haus mit Garten glücklich werden zu können, aber von einer Arbeitslosigkeit in die nächste fällt und mit Grundsicherung in einer Plattenwohnung lebt. Oder dass einer mit seiner Frau die glücklichsten Jahrzehnte seines Lebens erlebt und sie stirbt und ihn im Unglück zurücklässt. Da ist sie, die persönliche Hölle.
Zu erleben, wie das Ziel des eigenen Lebens zwar vor Augen liegt, aber immer weiter wegrückt, unerreichbar zu werden droht: Dafür benutzen wir im Deutschen das Wort „Sünde“. Es benutzt den gleichen Wortstamm wie das Wort „Sund“ – also den tiefen Graben zwischen Festland und Insel wie dem Strelasund zwischen Stralsund und Rügen oder dem Fehmarnsund vor der Insel Fehmarn. Man sieht die Insel, kann sie ohne Hilfe aber nicht erreichen. Das bedeutet, auf das eigene Leben übertragen, „Sünde“.
Meine Schwestern, meine Brüder:
Wir sind alle kleine Sünderlein, /’s war immer so, ’s war immer so./ Der Herrgott wird es uns bestimmt verzeih’n,/ ’s war immer, immer so./ Denn warum sollten wir auf Erden/ schon lauter kleine Englein werden?/ Wir sind alle kleine Sünderlein, / ’s war immer so, ’s war immer so./ Der Herrgott wird es uns bestimmt verzeihn / ’s war immer so, immer so.
Auch die anderen beiden Strophen dieses bekannten Liedes von Willy Millowitsch sind wirklich schön und des Schmunzelns wert.
Doch Sünde hat eben nur umgangssprachlich oder im Karneval etwas mit Diabetes, Seitensprung oder der berühmten Kartei in Flensburg zu tun. Sie ist ein ernstes Problem jedes Menschen, der sich ein lebenswertes Ziel gesetzt hat. Sie wird jedem eine Last sein, der am Sund steht und spürt, dass er aus eigener Kraft nicht hinüberkommen kann.
Wir haben uns, wie wir vor der Predigt gesungen haben (EG 200, 3), aus eigenem Entschluss dazu bekannt, für den dreieinen Gott leben zu wollen. Aber wir erleben, dass uns unser tagtägliches Verhalten weg führt von diesem Ziel.
Jedes einzelne der Gebote, die wir vorhin gehört haben, zeigt uns die Richtung und lässt uns Gottes Ufer sehen. Aber genauso lässt jedes einzelne der Gebote uns am Sund stehen und fragen: Wie kann ich trotzdem rüber kommen?
Ja, wisst ihr nicht, wer ihr seid? Ihr seid die Getauften! Zu Zeiten der Anfechtung soll Luther mit Kreide vor sich auf den Tisch geschrieben haben: „Ich bin getauft!“ Oder anders: Ich muss nicht länger Sklave der Sünde sein. Hier geht es nicht um süße oder bittere Fragen der Moral. Hier geht es um die Macht- Frage, also um die Frage, wer über mein Leben herrschen wird.
Die Sünde, die es immer gab und geben wird, wird es jedenfalls nicht mehr sein. Die Angst, unsere eigenen Strategien zum Umgang mit Schuld und Sünde könnten schließlich zum Scheitern verurteilt sein, ist gegenstandslos. Selbstdisziplin, Selbstrechtfertigung, ja sogar Strafandrohung bringen uns ohnehin nicht ans ersehnte Ufer.
Aber Gott sei Dank: Er lässt uns nicht hilflos dastehen. Er holt uns selbst hinüber, hinüber zu sich. Der Tag des Taufgedächtnisses gibt Antwort auf die ängstlichen Fragen unseres schrumpfenden Selbstbewusstseins. Er lässt uns selbstkritisch fragen: Wer bin ich denn, dass ich der Sünde -immer noch!- so viel Macht über mein Leben zutraue?
Und antwortet: Sag: „Ich bin getauft!“ Ich weiß, warum viele alte Taufsteine acht Ecken haben. Sieben Ecken für die sieben Tage jeder einzelnen Woche, die wir leben werden auf dieser Welt – und die achte Ecke für den Tag Christi, der uns durch die Taufe hinüberbringt in das neue Leben mit Gott.
Wir selbst können es nicht schaffen. Aber die Taufe kann das. Gottes Liebe hat uns über den Sund getragen und lässt uns neu leben. Und so, wie ein Kuss die Liebe manifestiert, manifestiert die Taufe Gottes Einfluss auf unser Leben und das Ende der Herrschaft der Sünde.
Denn die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes tragen uns durch die Taufe in ein neues Leben. AMEN