Die Weihnachtsbilder zeigen nicht,
was sich außen abgespielt hat, sondern/
Verborgenes und Unsichtbares/
ausgebreitet vor unser aller Augen.
Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns,
und wir sahen seine Herrlichkeit.
Johannes 1,14a
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Wirklich schöne Christvespern wurden vorgestern gefeiert, wie ich von vielen gehört habe – in Stadt und Land. Wir hatten hier in dieser Kirche wieder den Chor und die Posaunen dabei, haben die schönen alten Lieder gesungen, und auch wie alle Jahre wieder: einen schönen gespendeten Weihnachtsbaum und nur ganz wenige freie Plätze.
Heute nun unser Weihnachtsgottesdienst. Die Predigten sind wieder länger, dafür aber braucht der Kirchdienst nicht mehr so lange, um die Gottesdienstbesucherzahl festzustellen. Wir sind also wieder „unter uns“, wenn man das so sagen darf. Und können uns darum heute auch ein wenig mit uns beschäftigen.
Als reformierte Gemeinden in der Stadt Brandenburg und hier in Hohenbruch sind wir ja seit einiger Zeit bei einem Experiment, bei dem noch niemand so genau weiß oder wissen kann, ob es glückt oder nicht. Obwohl unsere Gemeinden genau siebzig Straßenkilometer voneinander entfernt sind, haben wir vor zwei Jahren beschlossen, ein gemeinsames Presbyterium zu bilden.
Sogar mit der weiteren Perspektive, irgendwann eine Gemeinde zu bilden. Und entgegen unseren Befürchtungen sind unsere Argumente sogar im Konsistorium verstanden worden: Wenn wir auf Dauer zusammen bleiben, sind unsere Chancen, unseren Status als Gemeinde mit reformierter Tradition zu erhalten, einfach besser, als wenn das jede Gemeinde für sich versuchen würde. Und für unsere Landeskirche wäre das auch ein Vorteil, wenn der reformierte Teil ihrer Wurzeln möglichst lebendig bleiben könnte.
Also haben wir die kirchenaufsichtliche Genehmigung dafür bekommen und sind nun auf einem gemeinsamen Weg. Wir machen möglichst vieles zusammen. Nicht nur Sitzungen des Presbyteriums, auch viele Verwaltungsdinge, Feste, Konzerte, Gottesdienste oder Rüstzeiten.
Im vergangenen Monat nun hatten wir die erste gemeinsame Wahl zum Presbyterium in zwei Stimmbezirken. In Hohenbruch war eine Presbyterin neu zu wählen, mit knappem Vorsprung hat Karola Kadau das Rennen vor Christine Schmechta gemacht, die hier Ersatzälteste wird. In Brandenburg waren zwei neu zu bestimmen, da sind es Nico Hahn und Sabine Dörr geworden, und Ersatzälteste wurde Anett Kolaschinsky.
Herta Grund und Mirko Wittich werden nicht mehr zum Presbyterium gehören. Beide haben uns in den vergangenen drei Jahren aus so mancher Verlegenheit geholfen, und ich hoffe sehr, dass sie das auch weiterhin tun werden. Da es beiden gerade gesundheitlich nicht gut geht, möchte ich ihnen hier nicht nur herzlichen Dank sagen, sondern auch gute Besserung wünschen.
Dass ich das hier im Weihnachtsgottesdienst so ausbreite, liegt einerseits daran, dass die neu gewählten Presbyter und Ersatzpresbyter Klammer auf w & m…) nachher ihr Ältestenversprechen ablegen wollen und damit heute offiziell ihr Amt antreten.
Andererseits aber auch daran, dass mir der heutige Predigttext für diesen Anlass wie geschaffen erscheint. Denn er hat etwas mit Weihnachten zu tun und ist gleichzeitig an Gemeindeälteste gerichtet.
Zunächst nur an einen mit Namen Titus. Der war vielleicht Presbyter oder sogar Bischof der Gemeinden auf der Insel Kreta. Vieles weist darauf hin, genau wissen wir das allerdings nicht. Aber wir wissen, dass der Absender erwartet, dass Titus an andere Älteste weitergibt, was ihm hier geschrieben wird.
Vielleicht war es Paulus selbst, der diese Zeilen geschrieben hat. Auch das wissen wir nicht genau, aber es ist eigentlich auch egal. Denn für uns ist nicht so wichtig, wer schreibt, sondern WAS geschrieben wurde. Ich lese aus Kapitel 3 ab Vers 2, heute in eigener Übertragung:
2 Ermahne sie, über niemanden schlecht zu reden und nicht zu zanken, sondern friedfertig zu sein und allen Menschen freundlich zu begegnen.
3 Denn niemand sollte vergessen, dass wir selbst früher unverständig und ungehorsam waren. Wir waren vom rechten Weg abgeirrt und wurden von allen möglichen Wünschen und Leidenschaften beherrscht. Wir lebten in Bosheit und Neid, waren hassenswert und hassten uns gegenseitig.
4 Aber dann erschien die Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes, unseres Retters. 5 Wir selbst hatten ja nicht eine gute Tat vorzuweisen, mit der wir vor ihm hätten bestehen können.
Nein, aus reinem Erbarmen hat er uns gerettet durch ein Bad – das Bad der Wiedergeburt und Erneuerung im Heiligen Geist.
6 Ihn hat er in reichem Maß über uns ausgegossen durch Jesus Christus, unseren Retter. 7 Durch dessen Gnade können wir vor Gott als gerecht bestehen, und darum sind wir auch eingesetzt zu Erben des ewigen Lebens, auf das wir nun hoffen dürfen.
„Ermahne sie“: Ermahnt werden müssen Menschen, die in Gefahr stehen, etwas aus den Augen zu verlieren, etwas zu vergessen, etwas Wichtiges nicht mehr wichtig genug zu nehmen. Die etwas besser machen könnten als sie es gerade tun.
Konkret geht es um das Thema „Friedfertigkeit“. Zanken, also Bomben platzen lassen, dass es raucht, knallt und stinkt, bringt niemanden weiter. Ganz offenbar mangelt es auf Kreta an Streitkultur. Streit selbst kann ja niemand vermeiden, vor allem dann nicht, wenn es ihm um eine wirklich wichtige Sache geht, die er gemeinsam mit anderen erreichen will.
Und Gemeindeleben zu gestalten ist so eine wichtige Sache. Wichtiger noch als die Arbeit in einer politischen Partei. Da geht es auch um vieles, aber man ist sich doch in einer politischen Grundhaltung einig. Darum ist man ja in der SPD, der CDU oder bei den Grünen und in keiner anderen Partei.
Aber hier, in der Gemeinde, leben Menschen miteinander, die aus allen politischen Strömungen kommen. Wenn ich mir das letzte Wahlergebnis ansehe, ganz sicher auch aus dem Spektrum der AfD. Und da ist es viel schwerer, gemeinsam auf den Weg des Evangeliums zu kommen und zu bleiben. Und auf diesem Weg geht es um alles: Das ganze Leben und jedes Sterben.
Und genau darum gehört eine gute Streitkultur zu den Grundtugenden gerade in der Gemeindeleitung. Streitkultur zu haben bedeutet, den eigenen Standpunkt so vertreten zu können, dass man dem Anderen nie abspricht, dass auch er einen Standpunkt besitzt und sogar besitzen MUSS. Und dass gerade aus der Diskussion verschiedener Standpunkte etwas grundsätzlich Positives oder auch Bedeutendes kommen kann. So ein Streit ist fruchtbar und darum wichtig, gerade im Leben der Kirche.
Wenn aber über andere schlecht geredet wird, vor allem hinter deren Rücken, wenn man Andersdenkenden unfreundlich oder gar abweisend gegenübertritt, dann wächst der Streit zu einem Kleinkrieg und aus dem Kleinkrieg wächst die Spaltung.
Wer selbst hasst, wird hassenswert. Wer hassenswert ist, ist ganz schnell EINES eben nicht mehr: Liebenswert. Diesen Mechanismus zu begreifen ist wichtig. Schnell lassen Menschen sich von Gefühlen wie Sympathie und Antipathie leiten. Das Neugeborene, gerade das in der Krippe – ist schnell liebenswert. Der Alzheimerkranke, der nicht freundlich und lieb, sondern böse und aggressiv wird – wird schnell hassenswert.
Es ist nicht leicht, über die eigenen Gefühle hinweg friedfertig zu sein und zu bleiben. Aber damit steht und fällt alles, gerade in der Arbeit einer Kirche. Das war für die Presbyter auf Kreta damals nicht anders als für uns heute. Daran sollen sie denken und sich an den Moment erinnern, an dem alles anders wurde:
„Aber dann erschien die Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes, unseres Retters…“. Für Paulus der Moment, an dem Jesus Christus in das Leben tritt. So wie bei ihm selbst vor Damaskus, als aus dem Verfolger der Christen einer ihrer glühendsten Vertreter wurde. Als aus dem, der vor allem hasste, einer wird, der vor allem liebt. Jesus begegnete ihm, freundlich und voller Liebe. Das hat alles in seinem Leben geändert. Und Paulus weiß: Das hat sein Leben nicht auf den Kopf, sondern von dem Kopf auf die Füße gestellt.
Und auch wenn nicht jeder Mensch so ein einschneidendes Damaskuserlebnis geschenkt bekommen kann: „Aus reinem Erbarmen hat er uns gerettet durch ein Bad!“
Gerettet – durch ein Bad?
„Nehmen sie ihren Kurzurlaub – in der heimischen Badewanne – allein oder zu zweit… Zelebrieren sie ihr Bad. Eine Stunde reicht, und sie fühlen sich wieder topfit.
Dabei steigert das richtige Ambiente die REGENERIERENDE Wirkung ungemein: Tür zu, Telefon aus, leise Musik an, Kerzenlicht. Heizung aufdrehen, Socken und Badetuch vorwärmen … Ein kühler Waschlappen auf der Stirn beruhigt, ein Augenkissen … oder ein Tuch über dem Gesicht lassen sie den Alltag vergessen und in eine andere Welt gleiten…“ So Astrid Wronsy in „Du siehst gut aus – der Pflege- Guide für Männer“.
Nicht erst nach der Erfindung des heißen Wassers aus der Wand: In allen Kulturen dienen Badezeremonien als Labsal für Körper und Geist. Nicht nur für Frauen.
Labsal für Körper und Geist:
Auch die Taufe ist eine Badezeremonie – zumindest gewesen. Dass wir das in ihrer heutigen Form nicht mehr unbedingt merken, ändert nichts daran: Jesus stieg aus der Gluthitze des Jordantals in den kühlen Fluss, um sich taufen zu lassen. Die ersten Christen ließen sich in einer Badezeremonie in einem Gewässer oder einem großen Becken taufen.
Und nur weil die Kirchen nun seit langer Zeit Säuglinge taufen – in ihren großen Kirchen, gerade auch in der kalten Christnacht!, ist aus der Badezeremonie eine Taufschalenzeremonie geworden. Zum Beispiel in der Katharinenkirche in Brandenburg kann man sich noch so ein Taufbecken ansehen, in dem die Säuglinge ganz untergetaucht wurden, bevor man irgendwann eine kleine Taufschale hineinbastelte…
Paulus erinnert daran, dass durch das Bad der Taufe alles neu wird. Er nennt sie das „Bad der Wiedergeburt und Erneuerung im Heiligen Geist“, der „in reichem Maß über uns ausgegossen“ ist. Bosheit, Neid, Hass wurden von uns abgewaschen. Aus reiner Menschenliebe. Durch den, der am Heiligen Abend Mensch wurde und seither an unserer Seite ist.
Meine Schwestern, meine Brüder:
„Aber dann erschien…“. Hier benutzt Paulus mit dem griechischen Verb epiphanein ein Wort, das für uns inzwischen zum festen Weihnachts-Vokabular gehört. Epihnanein – Epiphanias. Uns ERSCHIEN die Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes durch Jesus Christus, unseren Retter.
Eine unüberhörbare Erinnerung an das, was zu Weihnachten geschehen ist. Eine unüberhörbare Erinnerung an das, was jedem ganz persönlich durch die Taufe geschenkt wird.
Ganz offenbar ist diese Erinnerung nötig. Schnell vergisst man über das ganze Fest das, WAS gefeiert wird. Paulus erinnert Titus daran, was er geschenkt bekommen hat. Das soll er zuerst den Ältesten weitergeben. Sie müssen auf dem Weg der Friedfertigkeit und Freundlichkeit bleiben, damit die Gemeinde, die sie geistlich leiten sollen, Gottes Weg der Freundlichkeit und Menschenliebe sehen und gehen kann. Damit sie alle gemeinsam auf dem Weg Gottes gehen und bleiben.
So gesehen haben wir es geradezu nötig, alle Jahre wieder Weihnachten zu feiern. Wir MÜSSEN uns alle Jahre wieder daran erinnern lassen, dass mit dem Kind in der Krippe Gott selbst in unser Leben getreten ist. In unser Leben getreten, um uns seine Freundlichkeit und Menschenliebe spüren zu lassen. Damit wir Weihnachten nicht nur feiern, sondern auch leben.
Weihnachten zu leben, egal ob jemand das Geschirr falsch in der Gemeindeküche wegsortiert oder genau das tut, was andere von ihm erwarten. Egal, zu welcher Partei er gehört oder welche er wählt. Egal, ob er hier geboren ist oder als Flüchtling hier strandet. Auf dem Weg, auf dem wir ALLE gemeinsam bleiben wollen und für den wir arbeiten werden, geht es darum, Weihnachten nicht nur zu feiern, sondern zu leben. Es geht um ALLES.
Um die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes.
AMEN