Alles so schön bunt hier… (1.Kor 12, 4-11)

Pfingsten
Fest des Geistes, der Kirche schafft
Die Gemeinschaft der Heiligen feiert ihren Geburtstag
Sie ist begeistert
vom Wort Gottes, dass Herzen erfüllt
und das Leben ändert
wie schon die Alten es wussten:
Es soll nicht durch Heer oder Kraft, sondern durch meinen Geist geschehen, spricht der HERR Zebaoth.
Sacharja 4 Vers 6
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Viele Gaben- ein Geist. Damit ist ein Grundsatz christlichen Gemeindeverständnisses klar beschrieben. Er gilt schon immer, er gilt für immer, und der Paulustext aus dem 1. Korintherbrief dazu gehört zu den bekanntesten Bibeltexten überhaupt. Ich lese den Predigttext aus Kapitel 12 in den Versen 4-11:

4 Es sind verschiedene Gaben; aber es ist ein Geist.
5 Und es sind verschiedene Ämter; aber es ist ein Herr.
6 Und es sind verschiedene Kräfte; aber es ist ein Gott, der da wirkt alles in allen.
7 In einem jeden offenbart sich der Geist zum Nutzen aller;
8 dem einen wird durch den Geist gegeben, von der Weisheit zu reden; dem andern wird gegeben, von der Erkenntnis zu reden, nach demselben Geist;
9 einem andern Glaube, in demselben Geist; einem andern die Gabe, gesund zu machen, in dem einen Geist;
10 einem andern die Kraft, Wunder zu tun; einem andern prophetische Rede; einem andern die Gabe, die Geister zu unterscheiden; einem andern mancherlei Zungenrede; einem andern die Gabe, sie auszulegen.
11 Dies alles aber wirkt derselbe eine Geist und teilt einem jeden das Seine zu, wie er will.

Es gibt keinen Menschen, den Gott ohne Sinn und Ziel leben lässt. Es ist Gottes Geist, der es schafft, dass jeder irgendetwas zur Gemeinschaft beizutragen hat. Selbst wenn einer völlig auf fremde Hilfe angewiesen wäre: Die Gemeinde würde begreifen, zu welch schönen Dingen die Liebe in der Lage wäre. Dem Geist Gottes sei Dank.

Und kaum jemand würde widersprechen: Die Vielfalt, die Gottes Geist schafft, ist das Herz unserer Gemeinden. Sie ist das größte Geschenk, das Gott uns machen kann.

Aber wie das eben immer ist: Es gibt kein Ding, das so schön wäre, dass es nicht auch eine unangenehme Seite hätte. Mit dem Pfingstgeschenk ist das nicht anders. Es hat auch unangenehme Seiten.

Denn große Vielfalt ist zwar schön, aber auch anstrengend. Ähnlich wie 1989, als uns hier im Osten die übergroße Vielfalt im Angebot der Kaufhäuser, Supermärkte oder Kataloge des Westens überrollte. Viele hier können sich ja noch gut daran erinnern, dass es sich ohne diese Vielfalt manchmal schmerzfreier lebte. Meine Frau zum Beispiel wohnte Anfang der 80er in einem Dorf an den Stadtgrenzen Brandenburgs. Und wenn es da mal Bananen gab, gab’s für jedes Familienglied eine: Ich bekam keine ab, weil ich eben nicht zur Familie gehörte. Selbst nachdem wir verheiratet waren nicht.

Ost- Regeln dieser Art kannten wohl alle, die auf das Angebot der Läden angewiesen waren. Nicht nur bei Bananen oder Apfelsinen, sondern auch bei fast allem anderen: Schuhe, Hosen, Bücher, Urlaubsreisen. Nur bei den Grundnahrungsmitteln gab’s meist keinen Mangel. Brötchen, Mischbrot oder Rahmbutter konnte man in jeder Kaufhalle zwischen Suhl und Kap Arkona haben.

Ab November 1989 aber bekamen viele Ostdeutsche heftige Kopfschmerzen. Grund für dieses plötzliche Leiden waren Besuche in den Einkaufstempeln jenseits der bröckelnden Mauer. Raus aus dem Konsum, rein ins KaDeWe, und dann schnell hin zur Apotheke. Denn ohne Tabletten war das nicht auszuhalten. Wo man auch hinsah: Mangel gab es zwar immer noch, aber nur noch im eigenen Portemonnaie.

Eine bisher unbekannte Art von Stress war geboren. Wohin sollte man eigentlich zuerst sehen? Wie sollte man sich merken, wo was lag? Und was wie viel kostete? Und was man vielleicht noch gebrauchen konnte? Manch einem macht das bis heute zu schaffen, und nicht wenige sehnen sich heimlich nach dem EVP.

Nein, es geht nicht um die ÖVP und die österreichische Regierungskrise. Es geht um den EVP, den offiziell staatlich genehmigten End-Verbraucher-Preis:  78 Pfennige für das Mischbrot, 12 Pfennige für eine kleine Flasche Mineralwasser oder 8,75 Mark (!) für ein Viertel Pfund Rondo Kaffee.

EVP 1,60 M, auf der Unterseite der Butterdose. Eingestanzt für die Ewigkeit, gültig in jedem Laden zwischen Ostsee und Erzgebirge, der Butterdosen führte. Das Leben konnte so einfach sein: Alle Preise, die einem wichtig waren, konnte man sich merken und brauchte weder Finanzamt noch Steuerberater.

Heute brauchen die meisten zwar beides, dafür aber keine Schmerztabletten mehr nach dem Einkauf. Man hat sich an die Waren – Massen gewöhnt, kennt seine Lieblings – ALDI- Regale und hat gelernt, die Überangebots – Vielfalt an den entscheidenden Stellen einfach zu ignorieren.

Aber viele andere Arten an Vielfalt kann man nicht so einfach durch Ignorieren zur Seite schieben. Vor allem nicht die große Vielfalt an menschlichen Eigenarten, mit denen man Tag für Tag zu tun hat.
In der Schule, im Verein, im Betrieb.
Im Ort, im Land, in Europa.
In der Clique, in der Familie, in der Gemeinde.

Die Vielfalt der Menschen mit ihren unterschiedlichsten Eigenschaften begleitet einen an jedem Tag. Und sie lassen einen dabei auch unterschiedlich reagieren: Sie machen einen froh oder traurig, lassen einen gleichgültig oder machen einem sogar Angst. Sie sehen nicht nur unterschiedlich aus, sondern leben auch unterschiedlich. Darum erscheinen sie einem entgegenkommend oder kühl, stark oder schwach, freundlich oder gefährlich, dumm oder klug, nett oder gemein.

Das bereitet Sorgen. Da entwickeln sich Kinder ganz anders als die Eltern es durch ihre Erziehung gewollt haben. Kollegen machen ihre Arbeit so ganz anders als man selbst, ihnen sind Sachen unwichtig, die einem selbst wichtig sind und umgekehrt. Freunde haben in wichtigen Fragen eine Meinung, die einen schmerzt.

Da sind Menschen, die einen interessieren, aber auch solche, die einen gleichgültig lassen oder um die man lieber einen weiten Bogen macht. Diese Probleme spürt man überall und täglich – in der großen Politik, der Kommune, der Gemeinde.

Anmerken aber wollen sich das die wenigsten lassen. Offiziell gilt die Linie des alten Fritz – jeder solle nach seiner Fasson selig werden. Dass Fasson dabei ein sehr strenger Kurzhaarschnitt ist, wird lieber beiseitegeschoben: Multikulti – alles kein Problem.

Aber bei aller demonstrativ zu Tage getragenen Offenheit schleicht sich Unbehagen ein. Oft nicht zugestanden, eher verborgen und verschämt geleugnet, deshalb aber nicht weniger gefährlich. Die Fahne des Pluralismus bleicht rascher aus als gedacht und hängt eher schlaff am Bekenntnismast. Vielfalt ist nur so lange gut, solange sie einen selbst nicht zu bedrohen scheint.

Man denke an die Geflüchteten in unserem Land: Die wollen doch alle nur in unser soziales Netz! Oder sie nehmen den Deutschen die Arbeit weg! Früher hieß es: Kinder statt Inder! Heute: Gegen die islamische Überfremdung des christlichen Abendlandes! Oder die Ehen von Homosexuellen: Jetzt dürfen die sich auch noch in der Kirche trauen lassen. Und dann wollen die auch noch Kinder adoptieren.

Die vielen Gaben der Anderen lassen viele nicht kalt. Sie fremdeln. Diese Gaben verwundern und verwunden, machen immer öfter Angst. Und manch einer wünscht sich darum eine Gesellschaft, in der „nicht jeder machen kann was er will“, in der „Ordnung herrscht“. AFD-„Einfach ist die Welt“-Parolen: Die gibt es auch in unseren Gemeinden, man muss nur hinhören.

Paulus nimmt die Situation Korinths, die sehr ähnlich ist wie die bei uns heute, auf. Für die Bürger des römischen Reiches war Korinth so etwas wie Berlin für uns: Menschen aus aller Herren Länder – ein ständiger Karneval der Kulturen. Alle möglichen Lebenseinstellungen und Religionen – wie in Kreuzberg oder Neukölln.

Es geht Paulus dabei nicht einfach um die Darstellung der Vielfalt. Es geht hier auch nicht um die Frage, wie die verschiedenen Geister voneinander zu trennen sind. Ohne Zweifel: Es gibt auch Geister, die Menschen von Gott trennen wollen oder gar Böses wirken. Aber um die geht es hier nicht. Denn die Vielfalts- Kopfschmerzen setzen schon viel früher ein.

Paulus geht es um das Wirken des einen, Heiligen Geistes, der Gemeinde schafft und lebendig hält. Er hat so viele verschiedene Gaben in Menschen geweckt, dass es schwer ist, alle einzuordnen.

Welche Gabe ist wichtiger? Kann der andere nicht wirklich besser, was ich kann? Warum kann ich etwas nicht, obwohl ich es doch so gern möchte? Was bin ich überhaupt wert?

Es geht einerseits also um eine Gaben- Überheblichkeit. Um den menschlichen Versuch, Gaben zu wichten. Eine für wichtiger zu halten als eine andere.

Und andererseits um eine Gaben-Unzufriedenheit, die einem Menschen suggeriert, er sei einfach zu billig oder zu schlecht oder ganz einfach zu minderwertig, um eine wichtige Rolle im Leben überhaupt oder speziell in dem der Gemeinde spielen zu können.

Dagegen sprich Paulus von der Vielfalt, den vielen Farben, den aufregenden Unterschieden in der Gemeinde. Anders als das verwirrende und aufregende Stadtbild Korinths strahlt die Rede des Paulus von den Zuteilungen der Geistesgaben eine große Gelassenheit und Ruhe aus. Paulus hat gelernt, Vielfalt nicht nur zu erkennen, sondern auch zu schätzen.

Eindrücklich ist seine Rhetorik in drei genau parallelen Sätzen:
Es sind verschiedene Gaben; aber es ist nur ein Geist.
Und es sind verschiedene Ämter; aber es ist ein Herr.
Und es sind verschiedene Kräfte; aber es ist ein Gott.
Alle Geistesgaben entspringen ein und derselben Quelle!

Darum ist es nicht an uns, Gott Vorschriften zu machen, er hätte uns lieber anders schaffen sollen. Das würde uns nur krank machen, denn niemand kann aus seiner Haut. Gottes Geist ist nicht kurzsichtig, ganz im Gegenteil, Paulus schreibt: „In einem jeden offenbart sich der Geist zum Nutzen aller“.

Das ist der zentrale Satz. Wirklich jede Begabung, die ein Mensch nur haben kann, ist unverzichtbar, weil sie die Gemeinde bereichert und einzigartig macht. Darum werden in Gottes Kirche auch alle ihren Platz finden können, an dem sie sich geborgen und zuhause fühlen werden, weil ihre Gaben genau dort nötig sind.

Meine Schwestern, meine Brüder:

Zungenreden oder Wundertun stehen heute bei vielen naturwissenschaftlich glaubenden Menschen nicht sonderlich hoch im Kurs. Dafür gibt es aber andere Gaben, die Anlass für Neid und Minderwertigkeitsgefühle sind.

Viele heute sehen neidisch auf Menschen, die gut reden können.

Aber was gilt eigentlich das Zuhören? Zuhören- kann das nicht jeder? Sogar Gehörlose können doch zuhören, die machen das eben mit den Augen. Was kann daran schon schwer sein?

Zuhören aber will gekonnt sein. So kann man in Michael Endes Momo lesen:  “Was die kleine Momo konnte wie kein anderer, das war: Zuhören … Momo konnte so zuhören, dass dummen Leuten plötzlich sehr gescheite Gedanken kamen … Sie konnte so zuhören, dass ratlose oder unentschlossene Leute auf einmal ganz genau wussten, was sie wollten. Oder dass Schüchterne sich plötzlich frei und mutig fühlten. Oder dass Unglückliche und Bedrückte zuversichtlich und froh wurden …”

Oder es mag für manche viel gelten, wenn eine erfolgreich ist. Nur: Was ist das eigentlich?

Und was gilt dann eigentlich Lotta?
Lotta ist fünf Jahre alt, wohnt in der Krachmacherstraße und ist mit ihrem strotzenden Selbstbewusstsein, ihrem manchmal unverschämten Charme und ihren altersgerechten Trotzanfällen für manch scheinbar Minderbemittelten ein gut paulinisches Vorbild.

„Mit mir ist es komisch“, lässt Astrid Lindgren Lotta sagen, „ich kann so viel! … Wenn ich so drüber nachdenke, kann ich eigentlich- ALLES!“

Dieses gesunde Selbstbewusstsein stünde auch der Gemeinde Gottes gut zu Gesicht. Der Geist Gottes schafft eine solche Gabenvielfalt, dass es unter uns nichts gibt, dass es nicht gibt. Gottes Kirche ist eine Gemeinschaft, der es an nichts fehlt, das in Gottes Augen wirklich wichtig ist. Hier vor Gott gibt es darum keine Gabe, die wichtiger wäre als eine andere.

Sehen auch wir unser Leben durch die Augen Gottes, dann erkennen wir den anderen als SEIN Geschöpf. Gottes Geist lehrt uns sehen: „In einem jeden offenbart sich der Geist zum Nutzen aller.“

Der Geist Gottes wird uns darum auch die Vielfaltskopfschmerzen nehmen. Denn egal, wie viele Gaben in dieser Gemeinde hier zu Hause sind, hier gilt es für euch alle:

Die Liebe Gottes und die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes werden mit euch sein.
Amen.

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