Wer bin ich, was will ich sein? (Luk 18, 9-14)

Ich frage mich das öfter. In Momenten, an denen ich mich über mich selbst ärgere, weil ich anders war, als ich eigentlich will. An Tagen, wo mir alles zu viel wird und ich mich frage, was ich ändern sollte.

Oder jetzt, wenn ich das Tagesevangelium vom Pharisäer und dem Zöllner nach Lukas 18 lese, das heute Predigttext ist. Wer bin ich, was will ich sein? Ich lese die Verse 9-14 in der Lutherübersetzung:

Er sagte aber zu einigen, die sich anmaßten, fromm zu sein,
und verachteten die andern, dies Gleichnis:
Es gingen zwei Menschen hinauf in den Tempel,
um zu beten, der eine ein Pharisäer, der andere ein Zöllner.
Der Pharisäer stand für sich und betete so:
Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die andern Leute, Räuber, Betrüger, Ehebrecher/ oder auch wie dieser Zöllner.
Ich faste zweimal in der Woche
und gebe den Zehnten von allem, was ich einnehme.
Der Zöllner aber stand ferne,
wollte auch die Augen nicht aufheben zum Himmel,
sondern schlug an seine Brust und sprach:
Gott, sei mir Sünder gnädig!
Ich sage euch: Dieser ging gerechtfertigt hinab in sein Haus, nicht jener. …

Wer bin ich, welche Rolle würde ich mit meinem Leben spielen wollen, hier, in dieser Geschichte?

Neulich las ich, dass einer seinen Steuerberater verklagt hat.
Der hatte nämlich versäumt, den Alleingesellschafter einer GmbH auf die für eine Gewinnausschüttung fällige Kirchensteuer hinzuweisen.

Nun sollte der Unternehmer 9000 Euro Kirchensteuer zahlen. Hätte er das vorher gewusst, wäre er aus der Kirche ausgetreten.
Also solle doch nun der Steuerberater die 9000 Euro zahlen.

Der Richter sah das auch so. Begründung:  Schließlich habe der Steuerberater die Pflicht, seinen Mandanten möglichst vor Schaden zu bewahren. Aktenzeichen, Ende der Geschichte.

Ich bin nicht sonderlich gut im Rechnen. Aber wenn ich bedenke, dass die Kirchensteuer ca. 9% der Lohn- oder Einkommenssteuer ausmacht, ahne ich, welcher Gewinn da zu versteuern sein mag:

Da müssten ca. 200.000 € stehen, auf 12 Monate verteilt sind das fast 17.000 € je Monat. Ein wirklich Armer also, der dann auch noch hingeht und seinen Steuerberater vor den Kadi zieht, um den seine Kirchensteuer zahlen zu lassen, die schließlich ein Schaden für den armen Unternehmer darstellt.

Da lobe ich mir doch den Pharisäer. Er gehört zu denen, die sich um die Erneuerung des Glaubens mühten:

Die Pharisäer waren mitnichten die Erfinder des gleichnamigen Getränkes, in dem sich hochprozentiger Alkohol scheinheilig unter einem Sahnehäubchen und Kaffee versteckt.

Pharisäer machten Ernst mit ihrem Glauben. Sie überließen das Bibellesen nicht den theologisch bewanderten Schriftgelehrten, sondern lasen selber. Sie drängten das Beten nicht in den wöchentlichen Gottesdienst ab, sondern kamen auch außer der Reihe in den Tempel, um mit Gott zu reden.

Sie fasteten regelmäßig, um sich nicht in Gedankenlosigkeit zu verlieren. Und sie gaben ein Zehntel ihres Einkommens an Kirche und Arme, weil sie wussten: Gelegentliche Kollekten reichen hier nicht aus. Merke: Ein Zehntel des Einkommens, nicht 9% der Lohnsteuer.

Die Gruppe der Pharisäer wollte, dass der Glaube auch im Alltag Früchte trägt. Dafür lebten sie. Wohl der Gemeinde, die solche Glieder hat. Damals, heute.

Der Zöllner dagegen gehört zu denen, die alle Spartipps ihrer Zeit in- und auswendig kannten: Zöllner damals waren nicht wie heute Staatsbeamte, sondern freie Unternehmer. Sie hatten den römischen Staat mit Geld zu versorgen. Darum zahlten sie einen festen Betrag an die Staatsmacht – und machten ihren Schnitt mit dem, was sie den Leuten abknöpften.

Ihrer Phantasie blieb es in gewissem Rahmen überlassen, wie viel sie verdienten – und nicht wenige hatten es daher zu erheblichem Reichtum gebracht. Kein Wunder, dass die meisten um Zöllner einen großen Bogen machten, wenn sie nur konnten.

Wer bin ich, was möchte ich sein?

Jesus stellt in seiner Erzählung die Maßstäbe seiner Hörer auf den Kopf. Er übt keine Fundamentalkritik an der betrügerischen Lebenshaltung des Zöllners.

Er stellt den Pharisäer nicht als leuchtendes Beispiel für frommes, am Wohl der Gesellschaft orientiertes Handeln dar.

Er lässt den Zöllner gestärkt nach Hause gehen – und den Pharisäer leer ausgehen. Wie konnte das geschehen?

Die erste Überraschung für uns heute ist wohl die:

BEIDE gehen in den Tempel, um zu beten. Das Gespräch mit Gott ist auch dem Zöllner wichtig. Vielleicht ist er sogar extra dafür auf den Tempelberg gestiegen; vielleicht wollte er sich dem Tempel auch nur ansehen und war dann von der spürbaren Nähe Gottes überwältigt worden, wer weiß.

Was wir aber wissen: Beide beten. Wenn auch der Gesprächsinhalt grundverschieden ist.

Der eine hält eine Dankesrede, die eigentlich keine ist. Danke, dass ich nicht so bin wie die Schlechten, nicht so wie der da!
Wie eine Wahlkampfrede der peinlichen Art, mit erhobenem Haupt in der ersten Reihe vor den Kameras: Danke, Gott –  was bin ich doch für ein Held! Du darfst mich auch weiterhin erwählen, denn Du hast allen Grund dazu!

Der andere hat nichts in seinen Händen, was er vorweisen könnte. Denn ihm ist klar: Ich bin gerade kein Held. Mein Geld zählt hier nicht. Und so passt alles, was er zu sagen hat, in einen einzigen Satz: Gott, sei mir Sünder gnädig!

KEINE wirkliche Überraschung: Der erste Schein trügt. Wieder einmal, wie so oft. Was wir aber erkennen können: Zwei Menschen auf ihrem Weg vor Gott.

Der eine, bei dem alles in bester Ordnung scheint, und doch auf dem Weg in eine Sackgasse. Noch weiß er es nicht. Aber er wird umkehren müssen, früher oder später.

Der andere, ein scheinbar hoffnungsloser Fall: Er ist gerade umgekehrt. Er geht den Anfang eines Weges,  dessen Ende ein echter Lebensgewinn sein könnte.

Wer bin ich, was möchte ich sein? Auf welchem Weg bin ich?

Ich bin der Pharisäer.

Natürlich nicht ganz so plump: Schließlich kenne ich diese Geschichte schon seit über vier Jahrzehnten, und ich liebe den Zöllner seit Kindesbeinen an.

Aber ich habe auch begriffen, dass, wenn man sich mit dem  Zöllner identifiziert, man automatisch zum Pharisäer wird: Ich bin nicht so wie der – ich bin der „Gute“.

Und weil ich weiß, dass genau dieser Vergleich eben nicht gut ist, regele ich das anders: Ich bekenne meine Schwächen. Das ist doch das Gegenteil von dem, was der Pharisäer tut. Oder?

Täuscht auch hier der Schein? Man sagt laut: „Ich habe verstanden!“ Und denkt leise: So wirklich zerknirscht bin ich aber nicht.

Wirklich beschäftigt bin ich mit anderem: Mich ins rechte Licht zu rücken. Mich gegen Angriffe zu wappnen. Mich zu verteidigen.

Mich über andere zu ärgern, wenn ich wieder völlig falsch verstanden worden bin. Oder völlig aus dem Zusammenhang herausgerissen zitiert.

Wer bin ich, was möchte ich sein?

Der Zöllner bin ich auch.

Denn es ist nicht IMMER so, dass ich mich um das Eingeständnis meiner Schwächen herumdrücke.  Ich bin auch ehrlich erschrocken über etwas, was mir so herausgerutscht ist. Oder was ich getan habe einer kurzen Pointe wegen.

Oder dass ich die Gelegenheit genutzt habe, um zurückzuschlagen – und dabei wirklich gut getroffen habe. Weil ich die Macht meiner Worte kenne. Oder weil ich vor steigender Trägheit etwas Wichtiges unterlassen habe.
Oder einfach nur gedankenlos war.

Wer bin ich? Was möchte ich sein?

Ich bin sicher: Nicht nur ich/ bin Pharisäer und Zöllner in einer Person. Jede und jeder, der sein Leben nicht nur vor sich hin lebt, sondern versucht, sein Leben in der Art zu führen, die Gott gefällt, wird spüren: Pharisäer und Zöllner, irgendwie in einer Person – das ist die Schwierigkeit, der man sich kaum entziehen kann. Lebenslang.

Meine Schwestern, meine Brüder:

Ich glaube, dass Lukas uns dieses Gleichnis hören lässt, damit uns die Augen für diese Lebenswahrheit aufgehen. Beide, Zöllner und Pharisäer stehen dicht nebeneinander im Tempel. Hochmut und Demut stehen eng beieinander. Beide Wege, Sackgasse und der Weg bis zum Horizont Gottes sind an der Weggabelung nicht voneinander zu unterscheiden.

Und doch: Hochmut ist der Weg ins Dunkel.
Denn der Hochmütige muss jeden Tag, jede Minute vergleichen. Dieses Vergleichen mit dem augenscheinlich Schlechten kann nie enden, der Hochmütige muss ihn täglich führen, die Verteidigungslinien und Panzersperren täglich neu aufbauen.

Das kostet: Kraft, Lebensglück, Liebe. Denn der Vergleich ist nur nutzloser Augenschein. Nichts weiter.

Demut aber ist der Weg ins Licht. Zur Gnade. Gegen Augenschein.

„Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade.“

Bei Lukas beendet Jesus sein Gleichnis mit den oft zitierten Worten:  Wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden.

Wie aber kann man verhindern, dass diese Worte zum Programm und somit wertlos werden? Denn wer sich selbst erniedrigt, um erhöht zu werden- erhöht der sich nicht selbst, um dann zwangsläufig zu fallen?

Wie kommen König David und Bathseba heraus aus dem Teufelskreis von Begierde, Untreue und Mord? (2. Sam 12, Lesung aus dem AT)  Wie kann ich dem Hochmut widerstehen, um in Gottes Gnade zu fallen?

David und Bathseba werden erleben, wie ihre Untreue der Treue Gottes begegnet. Man kann nachlesen, wie beide durch ein tiefes Tal der Tränen neues Leben finden, weil sie Gottes Liebe erleben.

Jesu Worte selbst sind frei von jedem persönlichen Angriff. Weder Zöllner noch Pharisäer bekommen das endgültige „Stiftung – Menschentest ‚Sehr gut’ oder ‚Durchgefallen’“. Jesus ist weder leistungsfeindlich noch sind ihm Lüge und das Leben auf Kosten Anderer gleichgültig.

Jesu Worte sind vielmehr Werbung zur Dankbarkeit gegen Gott, der unserem Leben alles schenkt, was es braucht: Sonne und Wolken; Körper und Geist; Freunde und Gemeinde.

Auch wir können erleben: Die Liebe Gottes ist es, die uns liebenswert macht. Den Vergleich mit den Anderen, die dauernde Selbstrechtfertigung oder gar das Gerichtsverfahren gegen den Steuerberater hat es dazu nicht nur nicht nötig, sie führen ins Nichts.

Gott sei Dank, dass er uns liebt und wir ihm dienen dürfen.
Denn Dien- Mut wirkt

den Frieden Gottes, der größer ist, als all unser Denken es fassen kann. Er bewahrt unsere Herzen und Sinne lebenslang in Christus Jesus.
Amen.

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