Mehr wert als alles (1. Pet 1, 3-9)

Ostern ist gefeiert
Jesus auferstanden
wahrhaftig tausendmal gehört
aber was hilft es
Thomas, der zweifelt,
nicht glauben kann, was nicht handfest wird

Auferstehung Christi
was hilft sie
den vielen, für die ihre Last
schon lange schwerer wiegt
als die Lust des Lebens

kann man heraus aus seiner Haut
Quasimodogeniti
gleichwie die Kinder
neugeborenen sein

Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten. 1 Petrus 1,3
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Am diesem Sonntag nach dem Osterfest mit dem komplizierten Namen (wisst ihr ihn noch?) klingen uns die Geschichten um das Leiden Jesu noch im Ohr.

Das Ende mit dem letzten Passa-Mahl und dem ersten Abend-Mahl, die Verhaftung und Verurteilung, der Verräter Judas und der Verleugner Petrus, der Kreuzweg, die Hinrichtung und schließlich das Grab. Dazu die Schmerzen, die Tränen, die Verzweiflung und die Ohnmacht, dem grausamen Sterben eines Unschuldigen nichts entgegensetzen zu können.

Und auch wenn wir das alles nicht selbst miterlebt haben: Ähnliche Geschichten schreibt die Welt seither Tag für Tag aufs Neue. Es ist bitter, dass unter den Mördern selbst heute noch auch Menschen sind, die sich den Dienst für einen allmächtigen Gott auf ihre Fahnen geschrieben haben. Die Ohnmacht jedenfalls bleibt.

Die Beteiligten in den biblischen Geschichten kommen damit unterschiedlich zurecht. Die Frauen gehen am Morgen danach auf den Friedhof. Sie gehen sie ihrer Trauer nach, indem sie tun, was man tut, wenn man einen nahen Menschen verloren hat.

Die Männer tagen in ihren Gremien. Sie kommen hinter verschlossenen Türen zusammen, sitzen und versuchen durch Reden zu verarbeiten, was geschehen ist.

Doch Frauen wie  Männern brennen die gleichen Fragen auf den Seelen. Was jetzt? Wie soll es jetzt weitergehen? Wie sollen wir jetzt weiterleben? Was sollen wir jetzt glauben?

Genau diese Fragen sind es, die keine Zeit kennen. Was glauben? Was tun, in wessen Namen?

Christ ist erstanden, wer hätte es nicht gehört. Aber wir gehören seit Ostern nicht wie Thomas zu denen, die ihre Hand in seine Seite legen konnten. Wir gehören zu denen, die seit Jahrhunderten seine Gegenwart anders erleben als die eines Menschen, der neben Dir steht und Dir mit der Hand auf die Schulter schlägt und sagt: Gut gemacht!

Was also tun im Namen des Auferstandenen in einer unmenschlichen und mörderischen Welt? Wo selbst der Rechtsstaat keine Gerechtigkeit schaffen kann? Wo selbst Hundertjährige den Sinn ihres Lebens noch nicht gefunden haben? Wo selbst jahrzehntelange Ruhe auf den Straßen keinen Frieden für die Seele bedeuten?

Wie also im Glauben an die Liebe Jesu zurecht kommen ohne den, der leibhaftig-lebendig und unzweifelhaft präsent in unvergleichlicher Liebe/  auf Fragen antwortet, Missstände auf den Punkt bringt, Situationen verändert und so von Gott redet, dass man klar sieht?

Ein mulmiges Gefühl des Verlorenseins und Zweifelns macht sich breit, das sich auch immer wieder einmal neu einstellt, solange man lebt. Was, wenn alles falsch ist?

Wie die Sonne gestern hat sich darum für mich auch der Predigttext angefühlt. Ein Wärmepflaster für die Seele gewissermaßen. Ich lese aus dem Anfang des ersten Petrusbriefes die Verse 3-9:

3 Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten,
4 zu einem unvergänglichen und unbefleckten und unverwelklichen Erbe, das aufbewahrt wird im Himmel für euch,
5 die ihr aus Gottes Macht durch den Glauben bewahrt werdet zur Seligkeit, die bereit ist, dass sie offenbar werde zu der letzten Zeit.
6 Dann werdet ihr euch freuen, die ihr jetzt eine kleine Zeit, wenn es sein soll, traurig seid in mancherlei Anfechtungen,
7 damit euer Glaube als echt und viel kostbarer befunden werde als das vergängliche Gold, das durchs Feuer geläutert wird, zu Lob, Preis und Ehre, wenn offenbart wird Jesus Christus.
8 Ihn habt ihr nicht gesehen und habt ihn doch lieb; und nun glaubt ihr an ihn, obwohl ihr ihn nicht seht; ihr werdet euch aber freuen mit unaussprechlicher und herrlicher Freude,
9 wenn ihr das Ziel eures Glaubens erlangt, nämlich der Seelen Seligkeit.

Was will ich mehr? „Gelobt sei Gott,…, der uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten…“ !

Das rollt den Stein weg vor der Grabeskammer meines beschränkten Kopfes, in der meine Gedanken allzu oft nur von einer Wand an die andere schlagen.

Ich- als eine lebendige Hoffnung wiedergeboren: Jesus ist wahrhaftig auferstanden, ich bin getauft auf seinen Namen. Ich lebe.

Mein Winter-Leben erfährt den Frühling. Das Wetter draußen- in mir drinnen. Aufstrahlendes Licht und lebensfrische Farben. Ich bin neu geboren, neue Hoffnung keimt in mir. Gott lebt – kein Tod auf dieser Welt kann das ändern.

Das Erbe: Petrus redet nicht in Kategorien der Zeit, sondern des Raumes. Er redet nicht vom ewigen Leben, sondern erinnert an das gelobte Land, das Israel versprochen und schließlich geschenkt wurde. Petrus sagt nicht nur „immer“, sondern auch „alles“. Setzt meine „Füße auf weiten Raum“.

JETZT ist es.
MEIN ist es.
Unvergänglich, unbefleckt, unverwelklich. Über dem allen, was ich im Frühling sehen kann, öffnet sich ein Osterhimmel. Über dem, was vergänglich, befleckt, verwelklich ist, wird alles anders/ und völlig neu: Unvergänglich, unbefleckt, unverwelklich.

Da wird meine Lebens-Gelassenheit wieder lebendig, die mir abhanden zu kommen drohte. Weil ich es jetzt sehen kann. Ich muss, ja ich kann gar nichts dazu tun. Ich könnte es nicht einmal verhindern.

Egal, wie gut ich bin. Egal, was ich noch alles verderben lasse. Es ist gegen allen Winter wieder Frühling geworden. Wir haben gegen allen Tod wieder Ostern gefeiert. Gegen alle Vergänglichkeit und Unvollkommenheit hält Gott Vollkommenheit für seine Menschen bereit – was also kann je falsch sein?

Bei Petrus klingt das nicht nach billiger Vertröstung aufs Jenseits. Er sagt nicht einfach: Leiden macht dich reich und stark. Er sagt auch nicht: Alles nur halb so schlimm. Sondern:

„Dann werdet ihr euch freuen, die ihr jetzt eine kleine Zeit, wenn es sein soll, traurig seid in mancherlei Anfechtungen…“

Für Petrus ist alles Leid „Anfechtung“, also von Gott gewollter Teil des Lebens. Dadurch wird es zur Prüfung, deren Ergebnis die Qualität des Glaubens beschreibt.

„Dann werdet ihr euch freuen“, weil „…euer Glaube als echt und viel kostbarer befunden“ werden wird als „das vergängliche Gold, das durchs Feuer geläutert wird,… wenn ihr das Ziel eures Glaubens erlangt, nämlich der Seelen Seligkeit.“

Alles Bedrückende ist also eine Notwendigkeit, weil der Glaube nur dadurch seine Echtheit belweisen kann. Wenn der Glaube aber echt ist, weil er die Anfechtungen übersteht, muss auch das Heil echt sein. Noch echter, als es das Gold je sein kann.

Und ist da ja noch das Argument der Relation. Denn gemessen am ewigen, unermesslichem Erbe dauert die gegenwärtige Anfechtung nur eine verschwindend kurze Zeit.  Schon bei Jesaja ist das ähnlich zu lesen (54,2):  „Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen, aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln.“

Anfechtungen haben nicht nur einen Beginn, sondern auch ein Ende. Das Reich aber, das unser Erbe ist, hat weder das eine noch das andere.

Gottes Vollkommenheit ist wie der Löwenzahn, der Beton sprengt. Alle Zeit dieser Welt ist in der Ewigkeit Gottes. Das Weltall Teil seiner Schöpfung. Wir sind kein Zufall, sondern Teil der Schöpfung, Gottes Schöpfung.

Petrus bringt die Gedanken wieder auf den Osterkurs. Erinnert, dass uns die Taufe unseren ganz persönlichen Teil an der Auferstehung Christi  sichert.

Dass wir als Erben dabei sein werden, wenn das große Festmahl Gottes auf dem Zion die Völker der Welten zu seinen Völkern machen wird. Ostern hat Konsequenzen. Für uns, schwärmt Petrus und freut sich „mit unaussprechlicher und herrlicher Freude…“.

Was aber, meine Schwestern, meine Brüder,

was soll alles Schwärmen, wenn der Gottesdienst zu Ende ist? Was nutzt alles österliche Ergriffensein, wenn der „Alltag“  mit seinen eigenen Gesetzen wieder mehr und mehr an Kraft gewinnt?

Was der Osterglaube den anderen „da draußen“ wert ist: Sieht man das nicht an den schwindenden Zahlen an Menschen, die sich für Gemeinden und Kirche engagieren?

Es ist doch nicht der Glaube an einen Gott, der den meisten Menschen die Lebensrichtung weist. Es ist eher der Glaube an den Fortschritt, also die Religion des Machbaren, die die meisten Menschen in ihren Bann zu ziehen scheint.

Zu Recht hat  schon Heinrich Heine dazu aufgefordert, hier auf Erden schon das Paradies zu suchen. Den Himmel „den Engeln und Spatzen“ zu überlassen.

Aber heute kommt diese Gedichtzeile als Begründung dafür daher, dass im Himmel eh nichts zu finden sei, was wir auf Erden nicht selber hinbekommen müssten.

Was braucht man länger noch Gott und seine große Barmherzigkeit? Überflüssig auch das Leiden der Bewährung, denn nicht eine kleine Zeit des Durchhaltens, sondern eine möglichst lange der Leidensfreiheit wird zu machen sein, wenn Medizin sich nur lange genug anstrengt und der Mensch Mittel und Wege findet, Gerechtigkeit auf Erden durchzusetzen.

Der Mensch nimmt endgültig sein Schicksal in die Hand. Versucht, allen Ursachen faktischen Leidens auf die Spur zu kommen. Meint, dass es ein Rezept gäbe, um es generell beseitigen zu können. Meint, dass die Schöpfung ganz offensichtliche Mängel habe, die es zu beheben gelte.

Plötzlicher Kindstod, menschliches Versagen, Sprengstoffgürtel, gar schmutzige Bomben, Bürgerkrieg, Konzentrationslager, Umweltkatastrophen: All das beherrschbar, wenn es nur genug Fortschritt gibt?

Die Sicht des Petrus auf die Welt ist die wesentlich realistischere. Und sie erkennt die Macht, die nur die Hoffnung haben kann.

Welche Macht Hoffnung besitzt, kann man lernen, wenn man mit Kranken umgeht. Selbst wenn es nur der berühmte seidene Faden ist, an dem die Hoffnung auf Heilung hängt: Sie beispielsweise ist imstande, einen Menschen buchstäblich zu verwandeln.

Sie kann den völlig Niedergeschlagenen für jeden sichtbar und spürbar wieder aufbauen. Und zwar mit Geist, Seele UND dem Körper. Sie lässt die Zeit des Leidens ertragen. Was ist ein halbes Jahr Chemotherapie gegen die Möglichkeit, gesund zu werden!

Die Hoffnung des Petrus aber ist noch größer, hängt nicht am seidenen Faden: Es ist die Hoffnung auf „der Seelen Seligkeit“. Auf das Heil NACH aller Gesundheit. Auf das Leben NACH allem Tod. Auf das Erbe NACH aller Welt.

Das Bild eines alten Mannes kommt mir in den Sinn. Er ist inzwischen lange tot. Als ich sein Zimmer auf einer chirurgischen Station wische, sieht er mich an und meint: „Nun, Herr Studiosus Theologicus – wie sieht es aus? Wann kommt denn die Auferstehung meines Fleisches: Am Ende dieser Welt oder am Ende meines Lebens?“

Als ich mich von meinem Schrecken erholt habe und mir wieder Farbe ins Gesicht kommt, sage ich: „Die Bibel kennt wohl beides. Aber ich glaube, dass es wahr ist, wenn Jesus zu dem neben ihm am Kreuz sagt: Wahrlich, noch heute wirst du mit mir im Paradiese sein.“

Als ich fertig bin und Schrubber, Eimer und Lappen aus dem Zimmer tragen will, sagt er: „Und das ist viel mehr wert als alles, was ich habe.“

Das ist viel mehr wert als alles, was ich habe:

Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes lassen uns wiedergeboren sein zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten.
Amen.

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