Die Kistenprediger (Luk 3, 3-14)

Gott wird Gerechtigkeit schaffen
sein ewiger Advent ist das Ende
nie wieder Unrecht, Leid und Schmerz
für alle und jeden

sind wir auf dem Weg zum Heil der Welt
oder verlaufen wir uns
leben wir für Gottes Gerechtigkeit
oder für die Macht der Menschen

den Lauf der Welt
nehmen wir ihn hin
oder mischen wir uns ein

Bereitet dem HERRN den Weg;
denn siehe, der HERR kommt gewaltig.
Jesaja 40,3.10
***
Adventsmarkt in Lübeck vor gut zehn Jahren. Am dritten Advent nutzen viele Menschen die Gelegenheit. Nur noch wenige Tage bis zur größten Festmeile des Jahres, die fehlenden Geschenke müssen her. Leider fehlen auch die passenden Ideen. Aber vielleicht kommen die ja hier.

Die Heilsarmee mit ihrem Straßenorchester: Advents- und Weihnachtslieder, geblasen unter freiem Himmel, die Ventile frieren immer wieder ein (ja, es gab Frost!), und die schicken Uniformen wärmen offenbar nicht wirklich. Aber die Frauen und Männer lassen sich nicht unterkriegen, und das zahlreiche Publikum dankt es mit freundlichem Applaus und Münzen und manchem Schein in der Sammelbüchse.

Ganz anders bei einem Mann auf einer umgedrehten Holzkiste. Er steht auf dem Platz hinter dem Rathaus, gestikuliert heftig und schimpft laut und vernehmlich. Ich kann sehen, dass die meisten einen weiten Bogen um ihn machen. Einige aber bleiben stehen und hören zu. In sicherem Abstand freilich.

Ich gehe näher heran, um zu verstehen. Er schimpft über Geldgier, Korruption und politische Verantwortungslosigkeit der Leute. Es hagelt Anklagen. Er redet vom rücksichtslosen Ausbeuten der Bodenschätze, über die Mitschuld der Deutschen am Krieg in Afghanistan und am Klimawandel. Ja, schon vor gut zehn Jahren.

Und es geht weiter bis zum hemmungslosen Einsatz der Ellenbogen in einer egoistischen Gesellschaft. Ein weiter Rundumschlag. Das und viel Schlimmes mehr werde nicht ungestraft bleiben, prophezeit er und droht den Menschen um ihn herum das Gericht und die Strafe Gottes an.

Ein schlechtes Gewissen aber wollen sich die meisten nicht einreden lassen. Sünde haben doch die Kirchen erfunden, sollen die sie auch vergeben. Wer nicht an die Sünde glaubt, erspart sich vieles im Leben: Zeit, Grübeleien und Kirchensteuern.

Und was kann man auch für den schlechten Weltzustand? Die Gesellschaft ist so, wie sie ist. Und sie macht die Menschen zu denen, die sie sind. Warum sollte man an all dem Mitschuld haben, wenn man ordentlich arbeitet und seine Steuern zahlt? Was kann man denn schon ändern?

Der Eifer des Rufers auf der Kiste prallt an deren Einkaufstüten und Wintermänteln ab wie ein Gummi-Ball an einer Betonmauer. Ein mit Glühwein Abgefüllter am nächsten Stand äfft ihn nach. Das Leben schenke ihm doch schließlich auch nichts. Nicht mal seine eigene Frau täte das.

Von Weitem kommt ein Weihnachtsmann und bahnt sich SEINEN Weg und ruft: Ho ho ho! Und verschenkt das Abbild seiner selbst, 5 cm hoch und aus Schokolade. Auch der Abgefüllte bekommt einen ab. Und die Heilsarmee wechselt ihren Standort und spielt außer Hörweite des Kistenpredigers weiter. Die meisten Leute machen weiter einen großen Bogen um ihn.

Von Johannes dem Täufer haben auch viele das Bild von einem Kistenprediger, der den Leuten ihre Sünden um die Ohren schlug und mit dem jüngsten Gericht drohte. Eine Frau hat mir erzählt, dass sie sich als Kind vor ihm gefürchtet hat und von „Johannes dem Teufel“ sprach, weil sie das besser verstehen konnte als „Johannes der Täufer“.

Aber wenn Johannes so ein „Prediger auf der Kiste“ gewesen wäre: Ich glaube, auch damals hätten die meisten Menschen einen Bogen um ihn gemacht und hätten sich lieber die Heilsarmee angehört. Dann aber würde heute niemand mehr über ihn reden.

Also muss da mehr gewesen sein.
Denn schließlich wird sich auch Jesus von Johannes taufen lassen, und ganz sicher nicht nur, weil Johannes und er verwandt waren. Der Evangelist Lukas beschreibt uns den Täufer ausführlicher als die anderen Evangelisten, ich lese aus Kapitel 3, zunächst die Verse 3-6 (Zürcher Bibel):

3 Und er zog durch die ganze Gegend am Jordan und verkündigte eine Taufe der Umkehr zur Vergebung der Sünden, 4 wie es geschrieben steht im Buch der Worte des Propheten Jesaja: „Stimme eines Rufers in der Wüste: Bereitet den Weg des Herrn, macht gerade seine Straßen. 5 Jede Schlucht soll aufgefüllt und jeder Berg und jeder Hügel soll eingeebnet werden; und was krumm ist, soll gerade werden, und was uneben, zu ebenen Wegen werden. 6 Und schauen wird alles Fleisch Gottes Heil.

Johannes „verkündigte eine Taufe der Umkehr zur Vergebung der Sünden“. Wie genau man sich diese Taufe vorstellen muss, darüber lässt uns allerdings auch Lukas im Unklaren.

Inhaltlich aber wird deutlich, dass es dabei um Buße, also Umkehr oder vielleicht besser um Neuausrichtung geht. Um einen neuen Anfang mit dem alten Gott Israels: Bereitet den Weg des Herrn!

Johannes predigt: Kein neuer Gott wird kommen, sondern das Volk möge sich auf das besinnen, was der Gott ihrer Väter und Mütter ihnen gegeben hat. Zu IHM soll das Volk zurückkehren. IHM sollen Straßen, Wege und Schluchten bereitet werden. Dann wird der Gott Israels „alles Fleisch“, also alle Menschen, sein Heil sehen lassen.

Ein Neuanfang mit Gott:
Dieses Angebot hat viele Menschen damals offenbar magisch angezogen. Johannes muss es vermocht haben, die Herzen der Menschen seiner Zeit zu berühren. Darum kommen viele, um sich von ihm taufen zu lassen.

Und dass Jesus selbst unter den Getauften sein wird, macht deutlich: Jesus stellt sich selbst unter diese Botschaft. Er widerspricht ihr nicht nur nicht, sondern er unterstützt sie, er teilt sie theologisch.
Weiter mit den Versen 7-9:

7 Und er sagte zu denen, die in Scharen hinauszogen, um sich von ihm taufen zu lassen: Schlangenbrut! Wer machte euch glauben, dass ihr dem kommenden Zorn entgehen werdet?
8 Bringt also Früchte, die der Umkehr entsprechen! Und fangt nicht an, euch zu sagen: Wir haben Abraham zum Vater. Denn ich sage euch: Gott kann dem Abraham aus diesen Steinen Kinder erwecken. 9 Schon ist die Axt an die Wurzel der Bäume gelegt: Jeder Baum, der nicht gute Frucht bringt, wird gefällt und ins Feuer geworfen.

Kommt jetzt doch der Kistenprediger in Johannes durch?
Wenn man diese Verse einzeln für sich lesen müsste, dann könnte es den Anschein haben. Aber gerade eben ging es doch noch um den Neuanfang mit Gott. Darum sind die Menschen doch, wie hier steht, „in Scharen“ zu ihm gekommen. Sie sind jetzt hier und wollen hören, wie dieser Neuanfang funktionieren kann.

Was also allein für sich genommen wie eine Publikumsbeschimpfung klingt, ist für die Predigtgemeinde ganz offenbar etwas anderes: Sie erkennt WAHRHEIT in diesen Worten. Sie haben wirklich bisher geglaubt, „die Guten“ zu sein. Einfach weil sie sich als Kinder Abrahams fühlten.

Aber Johannes sagt: Vorsicht! Ihr seid doch vor Gott nicht die Gerechten, nur weil ihr von Abraham abstammt. Denn wenn Gott will, können selbst Steine lebendig werden und zu Abrahams Kindern werden. Auch eure Wurzeln können euch nicht davor bewahren, gefällt zu werden. Davor könnt ihr nur bewahrt werden, wenn ihr gute Früchte mit eurem Leben hervorbringt.

Die Menschen in der Predigtgemeinde erkennen, dass sie nicht schon durch ihre Geburt als Kinder Abrahams auf gutem Weg mit Gott sind. Sie erkennen sich als „Schlangenbrut“. Und wofür die Schlange seit der Vertreibung von Adam und Eva aus dem Garten Eden steht, muss ich euch sicher nicht erklären.

Durch das, was Johannes ihnen sagt, sehen sie, dass sie auf dem falschen Weg sind. Sie fühlen sich nicht beschimpft, sondern begreifen eine Fehlentwicklung.

Darum gehen sie eben NICHT verärgert weg, machen keinen großen Bogen um ihn. Nein, sie wollen von Johannes wissen, wie sie aus dieser Nummer wieder heraus kommen können.
Ich lese weiter ab Vers 10:

10 Und die Leute fragten ihn: Was also sollen wir tun?
11 Er antwortete ihnen: Wer zwei Hemden hat, teile mit dem, der keines hat, und wer zu essen hat, tue desgleichen.
12 Es kamen aber auch Zöllner, um sich taufen zu lassen, und sagten zu ihm: Meister, was sollen wir tun?
13 Er sagte ihnen: Treibt nicht mehr ein, als euch vorgeschrieben ist!
14 Und es fragten ihn auch Soldaten: Was sollen wir denn tun? Und ihnen sagte er: Misshandelt niemanden, erpresst niemanden und begnügt euch mit eurem Sold.
18 Mit diesen und anderen Mahnungen (predigte er dem Volk…)

Johannes hält ihnen die so genannte „Standespredigt“. Jeder „Stand“, also jede Gruppe, erfährt, was aus Sicht des Johannes falsch läuft und geändert werden muss.

Lukas listet hier nur einige Beispiele auf („mit diesen und anderen Mahnungen“): Teilt euer Hab und Gut mit denen unter euch, die es nötig haben. Ihr habt genug, dass niemand frieren oder hungern muss.

Die unbeliebten Zöllner, die für die Römer das Geld eintreiben, bekommen den Rat, sich an ihre Vorschriften zu halten und sich nicht auch noch selbst zu bereichern.

Sogar die Soldaten, sehr wahrscheinlich nicht wenige Römer unter ihnen, fragen Johannes, was sie den tun könnten. Und der wird zum wohl ersten Seelsorger an Soldaten und rät ihnen, niemanden überflüssig zu misshandeln, zu erpressen oder gar zu plündern.

Also: Ruht euch nicht aus! Ändert euer Leben! Werdet mitmenschlich!

Meine Schwestern, meine Brüder:

Weihnachten vor über zweitausend Jahren: Gott kommt in Jesus in unsere Welt. Der erste Advent Gottes hat diese Welt verändert. Verändert sie noch immer, sonst säßen wir heute nicht hier.

Aber dass hier in unserer Welt alles ordentlich seinen gottgewollten Gang nehmen würde – das würde wohl kaum einer von uns sagen. Darauf wird diese Welt wohl auch bis zum letzten Advent Gottes warten müssen.

Doch gerade darum ist Advent alle Jahre wieder unsere Zeit der Neuausrichtung. Wenn wir danach fragen, warum es ohne den Advent Gottes nicht geht, warum es auch in diesem Jahr für uns wieder Weihnachten werden muss, dann müssen wir uns fragen: Laufen WIR in die richtige Richtung?
Bereiten wir dem Herrn den Weg
oder stehen wir ihm IM Weg?

Genau dazu aber sind Menschen nötig, die die ART UND WEISE, in der die Menschen zusammen leben, IN FRAGE stellen. Menschen wie Johannes, die fragen: Lebt ihr für euren Vorteil oder MIT euren Nächsten? Und meint ihr wirklich, dass Gott von euch NICHT erwartet, dass ihr MITmenschlich lebt?

Und Menschen, die so fragen, braucht JEDE Zeit. Wir brauchen Frauen, die für die Gleichbehandlung der Geschlechter auf die Straße gingen und gehen. Organisationen wie Diakonie oder Caritas, die Stimme für die Hungernden sind. Menschen, die den Missbrauch von Menschen auch und gerade dann zur Sprache bringen, wenn der in Kirchen stattfindet. Oder Gretas, die lauthals herumschreien und auch nerven, weil sie glauben, dass die Menschen eben NICHT alles tun, um die Welt, auf der wir alle leben, vor großem Schaden zu bewahren.

Sicher: Wir glauben, dass Gerechtigkeit vor Gott nicht aus guten Werken erwachsen kann. Denn vor Gott kann niemand aus seinen Taten heraus bestehen. Darüber haben wir gerade in den vergangenen Wochen oft nachgedacht.

Aber wenn wir wirklich Weihnachten als Fest der Menschwerdung Gottes feiern wollen, dann MÜSSEN wir uns selbst fragen, wie es denn mit UNSERER Menschwerdung steht. Wenn wir wirklich den letzten Advent Gottes nicht fürchten, sondern auf ihn HOFFEN, dann KÖNNEN wir nicht zufrieden sein mit dem Zustand unserer Welt und der Art, wie WIR in ihr leben.

Natürlich WISSEN wir nicht, was vor Gott richtig ist. Niemand kann, um nur ein Beispiel zu nennen, genau wissen, wie viel Klimawandel gerade durch die Natur passiert oder wie viel davon menschengemacht ist. Aber kann Gott wollen, dass wir untätig bleiben, solange der Verdacht BEGRÜNDET ist, dass unser Verhalten diese Erde dauerhaft schädigt? Müssen wir nicht darüber nachdenken, ob die Rufer recht haben? Ob wir dem Weg der zehn Gebote treu sind?

Darum: Solange wir lebendig sind auf dieser Erde, brauchen wir den Advent. Die Erinnerung an Johannes den Täufer, der den Menschen Hoffnung gab auf den Neuanfang eines Lebens MIT Gott. Der deutlich macht: Buße ist alternativlos, weil es alternativlos ist, das Leben immer wieder neu auszurichten. Nicht zufrieden zu sein mit dem, was ist. Beim Namen zu nennen, was falsch ist, was krank macht, was knechtet.

Vielleicht braucht die Welt sogar die Kistenprediger und Schreihälse, um nicht lebendig einzuschlafen.

WIR aber brauchen
die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes.
Denn sie zeigen uns, wie wir dem Herrn den Weg bereiten,
auf dass er bei uns ankomme.
AMEN

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